
Welche Haar- und Augenfarbe hat ein Täter? Aus welcher Region kommt er? Die moderne Kriminalistik kann aus winzigen DNA-Spuren sehr viel lesen. Und so Jahrzehnte alte Mordfälle aufklären.
Auf dem Schal, mit dem das Opfer erdrosselt wurde, hat der Täter Spuren hinterlassen. Unsichtbare Spuren, die nun von Kriminaltechnikern "abgeklebt" werden. In den Textilfasern müssen winzige Hautabriebspuren zu finden sein, aus denen schließlich das DNA-Profil des Mörders bestimmt wird. "Solche Hautkontaktspuren machen inzwischen 80 Prozent unserer Arbeit aus", sagt Dr. Ingo Bastisch, 46, Leiter des Gen-Labors im Kriminaltechnischen Institut des BKA in Wiesbaden. Durch die enormen Fortschritte in der DNA-Analytik reiche bereits eine DNA-Menge von 200 Picogramm - rund 30 Körperzellen - für ein sicheres Profil. Wie winzig diese Menge ist, verdeutlicht die Umrechnung: Eine Billion Picogramm sind gerade mal ein Gramm. "Heute können wir manchmal sogar schon aus zwei Zellen ein DNA-Muster erstellen."
DNA-Profile in wenigen Stunden
Die DNA-Analytik habe enorme Fortschritte gemacht, sagt Bastisch. Früher dauerte es 24 Stunden, bis ein DNA-Profil erstellt war, heute braucht man dafür nur zwölf. Grund: "Wir haben sehr viel leistungsfähigere Geräte als noch vor ein paar Jahren." Und irgendwann, glaubt Bastisch, werde das Verfahren sogar auf wenige Stunden verkürzt werden können: "Es gibt bereits Firmen, die an mobilen Einheiten arbeiten, mit denen die Analyse dann vor Ort gemacht werden kann." Auch die chemischen Stoffe, die zum Knacken des Zellkerns eingesetzt werden, seien empfindlicher geworden. Bastisch: "Was früher nicht auswertbar war, können wir heute auswerten."
Vom Eichenblatt zum Täter
Im Gen-Labor des BKA war 2004 auch die DNA eines Eichenblatts analysiert worden, das die Polizei im Kofferraum eines Autos gefunden hatte. Der Wagen gehörte einem Mann aus Wuppertal, der verdächtigt wurde, seine Frau umgebracht und sie in einem Waldstück nahe der niederländischen Stadt Venlo verscharrt zu haben. Ein BKA-Wissenschaftler sammelte damals über 40 Eichenblätter am Fundort der Leiche ein und verglich deren DNA mit der des Blattes aus dem Kofferraum - und das stammte tatsächlich von jener Eiche, an der die Frau vergraben worden war. Der Täter wurde daraufhin wegen Totschlags zu acht Jahren Haft verurteilt.
Eine immer größere Rolle in der polizeilichen Ermittlungsarbeit spielen auch tierische Spuren. Ist etwa ein Tatverdächtiger bei einem Verbrechen mit einem Hund oder mit einer Katze in Berührung gekommen, haften an seiner Kleidung noch Fellrückstände, Tierhaare oder Speichel. Das DNA-Profil aus derlei Spurenmaterial kann heute eindeutig dem einzelnen Tier zugeordnet werden.
Blaue Augen, rote Haare: Die DNA gibt Aufschluss
Mit menschlichen Haar- und Augenfarben beschäftigt sich der deutsche Molekularbiologe Manfred Kayser an der Rotterdamer Erasmus-Universität. Er sucht in der DNA nach Hinweisen auf äußerlich sichtbare Körpermerkmale - und fand zum Beispiel einzelne Abschnitte im Erbgut, die für blaue und braune Augen verantwortlich sind. "Blaue und braune Augen können wir mit dem von uns entwickelten Testsystem IrisPlex inzwischen mit einer Sicherheit von durchschnittlich 96 Prozent vorhersagen." Auch die Haarfarbe Rot lasse sich mit einer Genauigkeit von über 90 Prozent feststellen, schwarze, blonde und braune Farben lägen bislang zwischen 80 und 90 Prozent. "An einem Haarfarben-DNA-Testsystem arbeiten wir gerade mit Hochdruck", sagt Kayser. Auch die geographische Herkunft eines Menschen sei ziemlich einfach bestimmen: "Wir können an einer DNA-Spur relativ gut ablesen, aus welchem Kontinent die Vorfahren des Spurenlegers kamen - insbesondere dann, wenn sowohl väterliche als auch mütterliche Vorfahren aus derselben Region stammen."
Derzeit erforscht der Rotterdamer Professor mit seinem Team, ob es möglich ist, zum Beispiel das Alter eines Spurenverursachers herauszubekommen, oder ob eine Spur am Tag oder in der Nacht hinterlassen wurde. Zudem sucht er, zusammen mit anderen Wissenschaftlern auf der ganzen Welt, nach genetischen Faktoren, die Einfluss auf Körpergröße und Gesichtsform eines Menschen haben. "Da sind wir von einer praktischen Anwendung noch sehr weit entfernt", sagt Kayser, "aber der wissenschaftliche Fortschritt geht auch hier weiter."
Ivestigative Recherche mit dem Erbgut
Mit den Erkenntnissen, die schon jetzt gewonnen werden können, sollen die Ermittler versorgt werden, die nach einem unbekannten Spurenleger fahnden - nach einer Person also, deren DNA-Profil noch nicht namentlich bekannt ist. "Wir verwenden DNA nicht nur als Identifizierungsmittel", sagt Kayser, "sondern mehr und mehr auch als investigatives Mittel."
In den Niederlanden oder auch in Österreich ist das erlaubt, in Deutschland nicht. Denn für solche Untersuchungen werden sowohl kodierende als auch einzelne nicht-kodierende Marker analysiert, um an spezifische Merkmalinformationen zu kommen. In Deutschland darf die Polizei nur nicht-kodierende - sogenannte "stumme" Abschnitte - analysieren lassen, die nichts über äußerliche Eigenschaften oder Erbanlagen verraten.