
Andreas Böhmann.
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Sechseinhalb Jahre saß der achtfache Familienvater in der Justizvollzugsanstalt Butzbach ein, weil das Landgericht Darmstadt es als bewiesen angesehen hatte, dass Böhmann zweimal seine Ehefrau vergewaltigte.

Die Justizvollzugsanstalt im hessischen Butzbach: Hier saß Thomas Biermann sechseinhalb Jahre unschuldig eine Haftstrafe ab.
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Doch die Geschichte sollte eine dramatische Wendung nehmen – Böhmann ist nämlich unschuldig. Das hat das Kasseler Landgericht in einem aufwendigen Wiederaufnahmeverfahren entschieden – seit kurzem ist das Urteil rechtskräftig. In dem auf 50 Seiten begründeten Freispruch attestiert das Landgericht Kassel der geschiedenen Frau von Böhmann, in dem Verfahren in Darmstadt mehrfach aus Kalkül gelogen zu haben. Sie habe sich dabei von Eifersucht und finanziellen Vorteilen leiten lassen.
Nach sechseinhalb Jahren unschuldig im Gefängnis: Keine Entschädigung
Für Böhmann ist das Urteil eine späte Genugtuung – nicht mehr und nicht weniger. Weil er in einem der beiden Vergewaltigungsprozesse vor dem Landgericht Darmstadt ein einsilbiges falsches Geständnis abgelegt hatte, verwehrt ihm das Landgericht Kassel nun aber für einen Teil seiner verbüßten Haft jegliche Entschädigung. „Lediglich eine sogenannte immaterielle Haftentschädigung steht meinem Mandaten zu“, erklärt sein Anwalt Hartmut Lierow.
Das bedeutet, dass Böhmann für sechseinhalb Jahre Haft etwa 33.000 Euro erhält. Das falsche Geständnis gab Böhmann nach mehreren Monaten Untersuchungshaft und nur wenigen Minuten Bedenkzeit ab.
Das Landgericht Darmstadt stellte ihn vor die Wahl: Entweder fünf bis sechs Jahre – oder zwei Jahre und elf Monate plus der Aussicht auf vorläufige Haftverschonung und die Chance, seine Kinder sehen zu können. „Solche falschen Geständnisse werden provoziert, wenn die Schere für eine Bestrafung mit oder ohne Geständnis sehr weit auseinandergeht“, kritisiert Lierow, der auch dem wegen Vergewaltigung zu Unrecht verurteilten Lehrer Horst Arnold zu später Gerechtigkeit verholfen hatte.

Das Landgericht in Darmstadt.
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Über sechs Jahre unschuldig im Gefängnis: Alles begann 2006
Ihren Lauf nimmt die Geschichte im Jahr 2016. Böhmann lebt mit seiner Frau und den acht gemeinsamen Kindern zusammen. Das Eigenheim hat er gemeinsam mit helfenden Händen selbst gebaut. Die Kinder werden streng christlich erzogen, heißt es in einem Schreiben von Anwalt Lierow. Böhmann lebt in dieser Zeit von Hartz-IV, eine Frühverrentung aus gesundheitlichen Gründen scheiterte an einer fehlenden Rentenbeitragszeit von einem Monat. Bereits seit Jahren führt Böhmann laut seinem Anwalt Parallelbeziehungen zu anderen Frauen.
Dies wirft ein schlechtes Licht auf Biermann, als er sich plötzlich vor dem Landgericht Darmstadt wiederfindet. Bereits am zweiten Prozesstag signalisiert das Gericht, dass die Aussagen der Ehefrau glaubwürdig erschienen. Daher verzichtet das Gericht darauf, einen psychologischen Sachverständigen zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Ehefrau hinzuzuziehen. Nach dem Geständnis ist für das Gericht die Sachlage eindeutig und der Fall erledigt.
Immerhin wird Böhmann aufgrund seines falschen Geständnisses aus der U-Haft entlassen. In diesen Tagen lebt er wieder zuhause. Als sie mit einem auf dem Heimcomputer installierten Spionageprogramm entdeckt, dass Böhmann mit anderen Frauen telefoniert und schreibt, zeigt sie ihn wegen einer angeblichen Bedrohung an, die sie bei der polizeilichen Vernehmung dann als weitere Vergewaltigung darstellt. Böhmann wandert sofort wieder in Haft.
Auch im zweiten Verfahren unterbreitet das Gericht Böhmann weniger Haftzeit, wenn er geständig sei. Diesmal lehnt Böhmann dies aber entschieden ab. Die Quittung erhält er prompt: Vier Jahre und drei Monate Gefängnisstrafe. Hinzu kommen weitere zwei Jahre und elf Monate für die vorige Verurteilung.
Überraschende Wende für den achtfachen Vater
Im dritten Haftjahr bekommt Böhmann dann Besuch von seinem Bruder. Der gesteht ihm, mit dessen Frau schon lange vor seiner Inhaftierung eine Beziehung aufgenommen zu haben. Von der Verurteilung seines Bruders will er zunächst nichts gewusst haben. Ahnungslos, so berichtet er, habe er die Frau zu ihrer Zeugenvernehmung im zweiten Strafverfahren gefahren. Sie habe ihm erklärt, es handele sich um eine private Angelegenheit.
Während über Böhmann verhandelt wird, hat sich die Frau bereits mit dessen Bruder verlobt und eine gemeinsame Zukunft geplant. Dem Gericht gegenüber gibt sie gleichwohl an, aufgrund der erlittenen Vergewaltigung nicht mehr in der Lage zu sein, zu einem Mann eine Beziehung zu unterhalten. Dennoch muss Böhmann weiter hinter Gittern ausharren. Als verurteilter Vergewaltiger hat er keine Hafterleichterungen und steht in der Knasthierarchie weit unten.
Schließlich erreicht Lierow ein Wiederaufnahmeverfahren vor dem Landgericht Kassel. Das Gericht kommt nach einer „umfangreichen und gründlichen“ Beweisaufnahme, zu dem Schluss, dass deutliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen, sagt Oberstaatsanwalt Andreas Thöne. Das Kasseler Landgericht vernimmt 28 Zeugen und bewertet entlastende Schriftsätze. Allerdings gibt die Frau noch immer nicht zu, gelogen zu haben.
Doch damit kommt sie nicht mehr durch. Das Landgericht Kassel sieht es als bewiesen an, dass sie in den Verfahren gelogen und eine Fähigkeit zur Manipulation unter Beweis gestellt habe. Welche Strafe auf die Frau zukommt, ist unklar. Böhmann hat kein Interesse daran, dass seine Ex-Frau der Strafverfolgung ausgesetzt wird, lässt er über seinen Anwalt verlauten. Er hoffe, dass aus den Fehlurteilen Lehren gezogen werden.
Quellen: HNA | Focus | Welt | taggedpress.news