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von Duchonin
Mi, 20. Apr. 2022, 21:10
Forum: Rechtswissenschaften
Thema: Freispruch nicht mehr endgültig Erneuter Prozess gegen Mordverdächtige wird möglich!
Antworten: 4
Zugriffe: 2763

Freispruch nicht mehr endgültig Erneuter Prozess gegen Mordverdächtige wird möglich!

TEXTWiederaufnahme eines Strafverfahrens nach fast 40 Jahren zulässig

"Nach fast 40 Jah­ren hat das Ober­lan­des­ge­richt Celle im Fall der 17-jäh­ri­gen ge­tö­te­ten Fre­de­ri­ke von Möhl­mann die Zu­läs­sig­keit der Wie­der­auf­nah­me be­stä­tigt. Das Ge­richt wies am Mitt­woch die Be­schwer­den des da­mals frei­ge­spro­che­nen An­ge­klag­ten gegen eine Ent­schei­dung des Land­ge­richts Ver­den zu­rück. Das LG hatte darin den An­trag der Staats­an­walt­schaft auf Wie­der­auf­nah­me des Ver­fah­rens für zu­läs­sig er­klärt und Un­ter­su­chungs­haft an­ge­ord­net.

Neues DNA-Gutachten zu Spermaspur am Slip der Getöteten

Der frühere Angeklagte wird verdächtigt, Frederike von Möhlmann im Jahr 1981 vergewaltigt und getötet zu haben. Von diesem Vorwurf hatte ihn das LG Stade 1983 rechtskräftig freigesprochen. Nach einem erst im Jahr 2012 erstellten molekulargenetischen Gutachten des Landeskriminalamts Niedersachsen soll der frühere Angeklagte aber als Verursacher einer Spermaspur am Slip der Getöteten in Betracht kommen.
Neues Beweismittel zunächst wertlos

Aufgrund der Rechtskraft des Freispruchs konnte dieses neue Beweismittel zunächst nicht zulasten des früheren Angeklagten berücksichtigt werden. § 362 StPO bestimmte, dass ein rechtskräftig abgeschlossenes Strafverfahren nur dann zuungunsten des Angeklagten wiederaufgenommen werden konnte, wenn das frühere Verfahren unter bestimmten schweren Mängeln litt oder ein freigesprochener Angeklagter die Tat zwischenzeitlich gestanden hatte.
Beweismittel kann nach Neuregelung berücksichtigt werden

2021 wurden diese Wiederaufnahmemöglichkeiten durch den Gesetzgeber erweitert. Nach dem neu eingefügten § 362 Nr. 5 StPO kommt eine Wiederaufnahme jetzt auch bei neuen Tatsachen oder Beweismitteln in Betracht, nach denen eine Verurteilung wegen Mordes oder anderer unverjährbarer schwerster Straftaten mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Diese Neuregelung war sowohl rechtspolitischen als auch verfassungsrechtlichen Angriffen ausgesetzt.
OLG Celle hält Neuregelung für verfassungsgemäß

Das OLG Celle hat die Beschwerden gegen die Entscheidung des LG Verden jetzt zurückgewiesen. Der Senat hält die gesetzliche Neuregelung für verfassungsgemäß. Sie verstoße insbesondere nicht gegen das in Art. 103 Abs. 3 GG gewährleistete Verbot der strafrechtlichen Doppelverfolgung. Sie gelte nur für äußerst eng umgrenzte Fallkonstellationen und sehe hohe Hürden für eine Wiederaufnahme vor. Die Entscheidung des Gesetzgebers, für derartige Ausnahmefälle trotz eines vorangegangenen Freispruchs eine schuldangemessene Bestrafung zu ermöglichen, sei vertretbar und durch das Rechtsstaatsgebot gerechtfertigt. Auch das im Grundgesetz verankerte allgemeine Rückwirkungsverbot hält der Senat nicht für verletzt.
OLG bejaht dringende Gründe für Verurteilung wegen Mordes

In dem konkreten Fall bestünden unter Berücksichtigung des nunmehr vorliegenden DNA-Gutachtens dringende Gründe für eine Verurteilung wegen Mordes. Damit lägen die Voraussetzungen des neuen Wiederaufnahmegrundes in § 362 Nr. 5 StPO vor. Der Senat habe daher auch die vom LG angeordnete Untersuchungshaft aufrechterhalten. Bei dem Beschwerdeführer liege der besondere Haftgrund der Schwerkriminalität gemäß § 112 Abs. 3 StPO vor.
Verfassungsbeschwerde hätte keine aufschiebende Wirkung."

https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldu ... -zulaessig
von Duchonin
Mi, 20. Apr. 2022, 21:07
Forum: Rechtswissenschaften
Thema: Freispruch nicht mehr endgültig Erneuter Prozess gegen Mordverdächtige wird möglich!
Antworten: 4
Zugriffe: 2763

Freispruch nicht mehr endgültig Erneuter Prozess gegen Mordverdächtige wird möglich!

Rechtskräftig vom Mordvorwurf freigesprochen, aber dennoch wieder in U-Haft: Am LG Verden wird Rechtsgeschichte geschrieben – möglicherweise eine unrühmliche, da die Rechtsgrundlage verfassungswidrig sein könnte. Greift die Politik ein?

"Im Prozess um den Mord an der 17-jährigen Frederike von Möhlmann hatte das Landgericht (LG) Stade den Angeklagten Ismet H. nach Zurückverweisung durch den Bundesgerichtshof im Jahr 1983 rechtskräftig freigesprochen. Wegen desselben Tatvorwurfs befindet sich H. seit vergangenem Freitag nach einem Beschluss des LG Verden, der LTO vorliegt, in Untersuchungshaft (Beschl. v. 25.02.22, Az. 1 Ks 148 Js 1066/22).

Was noch bis vor kurzem in Deutschland wegen des in Art. 103 Abs. 3 Grundgesetz (GG) verbrieften Grundsatzes "ne bis in idem" ("nicht zweimal in derselben Sache"), nicht möglich war, ist letzte Wahlperiode von der GroKo – entgegen massiven verfassungsrechtlichen Bedenken von Verfassungsrechtlern, Strafrechtlerinnen, Anwaltsverbänden, des Bundesjustizministeriums (BMJ) und zuletzt sogar des Bundespräsidenten – durchgesetzt worden: Eine Ausweitung der Voraussetzungen, nach denen eigentlich abgeschlossene Strafverfahren wieder aufgerollt werden können.

So sieht ein neuer § 362 Ziff. 5 Strafprozessordnung (StPO) seit Ende Dezember 2021 vor, dass u.a. in Fällen von Mord oder Völkermord eine spätere Wiederaufnahme des Verfahrens auch bei rechtskräftigem Freispruch des Angeklagten möglich ist – wenn sich aus nachträglich verfügbaren Beweismitteln die hohe Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung des Freigesprochenen ergibt. Davor konnte ein Strafverfahren zum Nachteil des Verurteilten nach § 362 StPO nur in besonderen Härtefällen wieder aufgenommen werden. Nämlich dann, wenn sich etwa herausstellt, dass eine zugunsten des Angeklagten vorgebrachte Urkunde gefälscht war oder der Freigesprochene selbst später noch ein Geständnis über seine Tat ablegt.
DNA-Spuren von 2012 belasten Freigesprochenen

"Nachträglich verfügbare Beweismittel" im Sinne der neuen Vorschrift könnten nun dem freigesprochenen Ismet H. zum Verhängnis werden: Nach dem Vorwurf der Staatsanwaltschaft soll er 1981 Frederike von Möhlmann aus Hambühren (Landkreis Celle) vergewaltigt und getötet haben. Im Jahre 2012 gefundene Spermaspuren auf einem Stück Toilettenpapier im Slip der Getöteten sollen ihn belasten. Neues Beweismittel ist also eine molekulargenetische Untersuchung (DNA-Probe), die viele Jahre nach Abschluss des Strafverfahrens durchgeführt wurde.

Laut Erster Großer Strafkammer des LG Verden, die jetzt über den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens und Haftbefehl der Staatsanwaltschaft Verden zu entscheiden hatte, erscheint zwar auch eine andere Beurteilung auf Grundlage eines Ergänzungsgutachtens "möglich". Nach aktuellem Ermittlungsstand spreche das Hauptgutachten jedoch eindeutig für die Spurenverursachung durch den Freigesprochenen.

Erstmals kommt es nun also vor einem deutschen Gericht zur Anwendung der Vorschrift, über die bis zuletzt erbittert gestritten wurde. "Der Antrag der Staatsanwaltschaft Verden (Aller) auf Wiederaufnahme des Verfahrend gemäß § 362 Nr.5 StPO vom 09.02.2022 wird für zulässig erklärt", entschied das LG. Wegen Fluchtgefahr ordnete das Gericht außerdem die Untersuchungshaft an."
https://www.lto.de/recht/hintergruende/ ... ge-bverfg/

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