1998 | Frankfurt-Höchst | Tristan Brübach (13) ermordet
Verfasst: Di, 18. Nov. 2014, 20:57
Teil 1: Aktuelle Chronologie / Über Tristan Brübach
► Chronologie von @marthaler .
• 1984:
3. Oktober: Tristan Brübachs Geburt
• 1995:
Tristans Mutter, Iris Brübach, begeht Suizid, laut Fey ein Hochhaus in Sichtweite des Höchster Friedhofs
• 1998:
Donnerstag, 26. März 1998: Tristan Brübach, 13 Jahre, Schüler der fünften Klasse in der Meisterschule in Sindlingen, wird ermordet.
Der bislang ermittelte Tagesablauf, der Tatverlauf, das Verletzungsbild und die Spurenlage am Tatort können auf der Internetseite des BKA (Quelle: BKA) und hier im Forum nachgelesen werden.
Noch in der Tatnacht wird Tristans Leichnam nach einer langwierigen äußeren Leichenschau von Prof. Hansjürgen Bratzke sechs Stunden lang obduziert. Sektionsnummer: 282/98.
Zu dieser Zeit ist Rudolf („Rudi“) Thomas Leiter der Mordkommission K11, die den Fall ermittelt.
27. März: Die Polizei bittet auf Flugblättern und Plakaten um Hinweise (FNP, 30.3.1998)
30. März: Ein Fallanalytiker des BKA wird eingeschaltet. Die Zusammenarbeit mit dem BKA sei zur Klärung der Frage, ob es sich um einen „Triebtäter“ handele, „obligatorisch“. (FR 31.3.1998)
Ende März: Aussage einer 12-Jährigen, sie habe einen unbekannten Zopfträger in der Nähe des Tatorts gesehen. Laut Ermittler Uwe Fey sagte die Zeugin, sie habe ihn gegen 15.50 Uhr am Tattag aus einem Gebüsch kommen sehen. (Quelle: HD)
Es wurde damals zwar ermittelt, aber seine Identität konnte nicht festgestellt werden.
31. März: Der Liederbach am Tatort wird trockengelegt. Metalldetektoren und Spürhunde kommen zum Einsatz. (FNP, 1.4.1998)
1. April: Ein erstes Täterprofil wird veröffentlicht: Demnach sei der Täter „ein etwa 20 bis 40 Jahre alter Mann mit ‚abnormer Veranlagung’. Der Wissenschaftler, so die Polizei, gehe davon aus, dass es sich um einen psychisch gestörten Einzelgänger handele, der sich sozial auffällig verhalte.“ (FNP, 1.4.1998)
1. April: „Wie die FR aus Justizkreisen erfuhr, sind an der Leiche des Schülers keine Spermaspuren gefunden worden“ (FR, 1.4.1998)
Im selben Artikel wird erstmals berichtet, dass die Polizei nach dem „Ranzen“ Tristan Brübachs suche. Gemeint ist der später gefundene Rucksack der Marke Fishbone.
2. April: Erstmals wird nun öffentlich ein Zopfmann beschrieben. Die Beschreibung stützt sich auf die Aussagen der 12-Jährigen: „Der auf 18 bis 25 Jahre geschätzte Mann hatte das Haar zu einem Zopf gebunden. Er trug eine Baseballmütze, eine schwarze Lederjacke und dunkle Jeans. Der Mann soll breitschultrig sein und eine sportliche Figur haben.“ (FR, 2.4.1998)
2. April: Eine Tür-zu-Tür-Befragung der Ermittler führt ebenfalls am 2. April 1998 zu der Aussage zweier Anwaltsgehilfinnen, die bezeugen, es habe sich kurz nach der Tat ein junger, nervöser Mann bei ihnen gemeldet, der – sinngemäß – gesagt habe: „Ich habe Mist gebaut; ich brauche einen Anwalt“. Die beiden Frauen schicken den Mann zu einem Strafverteidiger, bei dem er nie ankommt. Beschreibung des Mannes: 20 bis 30 Jahre alt; ungefähr 1,75 Meter groß; langes, dunkelblondes Haar, das zu einem Zopf gebunden war; auffällige vertikale Veränderung an der Oberlippe. Er sprach ohne auffälligen Akzent oder Dialekt. (Quelle: SPON 1)
Anfang April: Wiederum laut Uwe Fey (Quelle: HD) hat sich etwa zeitgleich, also ebenfalls eine Woche nach der Tat, ein Vater gemeldet, der berichtete, dass sein Sohn und andere Kinder des Vincenzhauses in Hofheim von einem Zopfmann belästigt wurden. Dieser sei mit ihnen auch nach Höchst gefahren und habe ihnen Süßigkeiten gekauft.
Montag, 6. April: Tristan wird auf dem Höchster Friedhof im engsten Familien- und Freundeskreis beerdigt. (FR, 7.4.1998)
Sein Grab liegt in Feld 11 unter Birken an der nördlichen Umgrenzung.
7. April: Ein anonymer Anrufer, der sich "Dirk Meier" nennt, meldet sich bei der Polizei: „Hier ist Tristans Mörder“. Aber wenn man genau hinhört, sagt er zwei Mal nicht Tristan, sondern „Tristian“. Diese Spur wird erst im Sptember 1998 veröffentlicht.
11. April: Zweites Täterprofil; Kehrtwende beim BKA. Täter und Opfer werden völlig neu charakterisiert. Demnach „glauben die Ermittler nun nicht mehr an die Tat eines Psychopathen, wie es noch in einem ersten Gutachten geheissen hatte. Damit erscheine die Gefahr einer Wiederholungstat deutlich geringer, erklärte jetzt Polizeisprecher Peter Öhm. (...) Die Gutachter kamen zu dem Schluss: Das Bild eines wahllos vorgehenden Täters sei nicht mehr wahrscheinlich. Vielmehr dürfte es sich um einen nichtdeutschen Mörder handeln - das glauben die Experten aus der Tatausführung schließen zu können. Zudem sei der Mann wahrscheinlich zwischen 17 und 27 Jahre alt und habe sein Opfer unter Umständen gekannt. (...) Unklar bleibe das Motiv. Hinweise auf eine Sexualstraftat lägen trotz der Stichverletzungen im Genitalbereich der Leiche nicht vor. Der am 26. März ermordete Schüler war nach Auffassung der Ermittler keineswegs das unauffällige Kind, wie es zunächst den Anschein hatte. Der nach dem tragischen Tod seiner Mutter beim berufstätigen Vater lebende Junge hatte nach Auskunft zahlreicher Zeugen große Freiräume. Einen erheblichen Teil des Tages habe Tristan auf der Straße ohne väterliche Kontrolle verbracht. Wörtlich heißt es im Polizeibericht über Tristan: ‚Hinweisgeber aus seinem Umfeld bezeichnen seinen Lebensstil als ,street life’ unter Hinweis auf sich daraus ergebende Gefahren eines von elterlicher Kontrolle weitgehend unberührten 13jährigen Jungen.’“ (FNP, 11.4.1998)
18. April: Die SoKo Tristan ist um 20 Beamte aus Darmstadt erweitert worden, sodass nun 120 Ermittler an dem Fall arbeiten. (FNP, 18.4.1998)
22. April: „Die Nachforschungen konzentrieren sich mittlerweile auf die Szene am Höchster Bahnhof, zu der Obdachlose, Drogenkonsumenten und Homosexuelle gehören. In diesem Milieu soll sich Tristan gelegentlich aufgehalten haben.“ (FR, 22.4.1998)
15. Mai: Ermittlungsleiter Rudolf Thomas wird mit den Worten zitiert: „Dieser Mann muss mit einem unbändigen Hass gemordet haben.“ (FR, 15.5.1998)
3.Juni: Die Polizei gibt den Fund eines Fingerabdrucks bekannt: „’Wir gehen davon aus, dass er vom Täter gelegt worden sein könnte’, erklärte dazu gestern Peter Öhm, der Leiter der Polizeipressestelle Frankurt, vorsichtig.“ (FNP, 4.6.1998)
16. September: Unter einer Telefonnummer der Polizei kann man jetzt einen Zusammenschnitt der Tonbandaufzeichnung abrufen, auf dem der anonyme Bekenner vom 7. April zu hören ist. (FR 16.9.1998)
21. September: Auf Sat 1 wird die Sendung „Fahndungsakte“ mit einem Beitrag zum Fall Tristan ausgestrahlt.
• 1999:
1. März: Rudolf Thomas wird mit den auf Tristan bezogenen Worten zitiert: „Er war wohl mehr Prügelknabe als böser Bube“. (FNP, 1.3.1999)
23. März: Tristans Vater, Bernd Brühbach, wendet sich mit einer persönlichen Botschaft an die Öffentlichkeit, in der er erklärt, dass er sich nicht am öffentlichen Gedenken zum Jahrestag der Ermordung seines Sohnes beteiligen werde: „Ich werde zu Hause versuchen, damit fertig zu werden.“ (FR 23.3.1999)
In diesen Tagen um den Jahrestag herum, veröffentlicht die Polizei, um die Bevölkerung zu sensibilisieren und zu emotionalisieren, Einzelheiten über das Verletzungsmuster und auch Tristans Stimme vom heimischen Anrufbeantworter: „Hier ist der Anrufbeantworter von Bernd und Tristan Brübach ...“. Mit Berufung auf den Polizeisprecher Job Tilmann wird berichtet, dass der Täter seinem Opfer Muskelfleisch und Hoden entnommen und „sie höchstwahrscheinlich in dessen Rucksack transportiert“ habe. (Stuttgarter Nachrichten, 25.3.1999)
25. März 1999 (Quelle für das Datum: Uwe Fey in XY): In einem Wald bei Niedernhausen in der Nähe des Eselskopfes führt der Mitarbeiter eines Energieversorgungs-Unternehmes die Polizei zu Tristans Rucksack. Darin wird eine Deutschland-Karte mit tschechischer Schrift gefunden, außerdem ein Gaskocher (Aussage von Uwe Fey in SPTV 2). Auch ein altes Kampfmesser und der Aufsatzring eines tschechischen Gas- oder Elektrokochers werden in der Nähe gefunden (Quelle? Es gab davon Fahndungsfotos)
Die Ermittlungen bei den tschechischen und polnischen Bahnarbeitern, die in der Nähe an der ICE-Trasse arbeiten und dort ihre Unterkünfte haben, bleiben ergebnislos.
Offensichtlich wurden diese Spuren sehr schnell bekannt gemacht. Unter anderem gab es eine öffentliche Fahndung mit mehreren Fernsehbeiträgen in Tschechien.
Eine Zeugin berichtet, ihr sei im Wald bei Niedernhausen, nicht weit vom Fundort des Rucksacks, ein verwirrter, verwahrloster Mann begegnet, der ihr erzählt habe, er komme gerade aus Tschechien und wolle zu Fuß zurück nach Frankreich zu seiner Schafherde. Mithilfe von Interpol und der französischen Polizei wird der Mann ausfindig gemacht, ein ehemaliger Fremdenlegionär. Er war zur Tatzeit in Prag im Krankenhaus (Quelle: SPTV 1).
Andere Quellen berichten, die Zeugin habe diesen Mann kurz nach der Tat als Anhalter mitgenommen. (FNP, 26.3.2004)
Die Nacht vom 7. auf den 8.Oktober 1999: Öffnung von Tristans Grab durch einen oder mehrere Unkekannte. Der oder die Täter gingen dabei sehr sorgfältig vor. Die Aktion wurde aber nicht vollendet, der oder die Täter nie ermittelt. „Tristans Großmutter findet das Grab ihres ermordeten Enkels aufgewühlt vor, als sie es besuchen will.“ (Höchster Kreisblatt, 26.3.2013)
Der Text von Hadayatullah Hübsch „Tristan oder die Traurigkeit der Gewalt“ erscheint. Darin wird Tristan als ein ziemlich rabiates Straßenkind beschrieben. (Allerdings, man erlaube mir diese Bemerkung, da ich ihn kannte: Hübsch war ein gutmütiger, aber auch ein durchaus spinöser, von seinen persönlichen Obsessionen getriebener Autor).
• 2000:
1. März: Die Frankfurter Neue Presse berichtet nun: „Erste Vermutungen, der Mörder könnte die Leichenteile in dem Tornister abtransportiert haben, bestätigen sich nicht. (...) Auch das Messer – mit Sicherheit nicht die Tatwaffe – und der Kocher liefern keine neuen Erkenntnisse.“ (FNP, 1.3.2000)
Irgenwann im Jahr 2000: Ein Junge sagt aus, er sei dem Zopfmann um die Tatzeit herum immer wieder begegnet. Jetzt, im Jahr 2000, will er gesehen haben, wie der Zopfmann aus dem inzwischen vergitterten Tunnel gekommen ist (unter dem Gitter durchtauchend). Das hieße, der Zopfmann hätte den Tatort zwei Jahre später noch einmal aufgesucht. (Quelle: SPTV 2)
• 2001:
26. März: Die Frankfurter Neue Presse legt nahe, dass es sich bei dem am Tatort gefundenen Fingerabdruck doch um Täter-DNA handelt. Ein Umstand, der von keinem anderen Medium aufgegriffen wird. Stattdessen wird jetzt von „Gen-Mikrospuren“ gesprochen, die möglicherweise vom Täter stammen könnten.
Die FNP hingegen: „Und dennoch könnte der Abdruck dem Killer zum Verhängnis werden. Denn anders als ursprünglich angenommen, stammt das Blut, das ihn hinterließ, nicht von dem 13 Jahre alten Jungen, sondern von seinem Mörder. Das ist das Ergebnis aufwendiger Untersuchungen im Kriminaltechnischen Institut Lausanne, wie der Frankfurter Polizei-Vizepräsident Wolfgang Daschner gegenüber der FNP bestätigte. Ob das dort gesicherte DNA-Material, der genetische Fingerabdruck des Mörders, allerdings für weitere aufwendige Analysen ausreicht, ließ Daschner offen.“ (FNP, 26.3.2001)
• 2002:
Uwe Fey übernimmt die Leitung der Ermittlungen.
3.Mai: In einem gemeinsamen Pressepapier von Polizei und Staatsanwaltwaltschaft Frankfurt heißt es nun ganz offiziell, dass auf dem Schulbuch Tristans „ein mit Blut des Opfers gelegter Fingerabdruck gesichert werden konnte“. Also keine Täter-DNA. (na-news aktuell: POL-F: 020503 – 0505, 3.5.2002)
4. Mai: Die Staatsanwältin Annette von Schmiedenberg wird mit den Worten zitiert, „es gebe zudem eine gentechnisch bedingt auswertbare Spur in Form von Hautpartikeln mit nur drei DNA-Systemmerkmalen. Für einen genetischen Reihentest seien mindestens acht erforderlich.“ (FNP, 4.5.2002)
10.5.2002: Die Massenabnahme der Fingerabdrücke beginnt. Eigentlich war diese Aktion bereits für den Herbst 2001 geplant, war aber verschoben worden, weil die Terroranschläge vom 11.September einen verstärkten Polizeieinsatz erfordert hatten. (FNP, 19.4.2002)
„Seit dem 10.05.2002 wurden in den Frankfurter Stadtteilen Sossenheim, Nied, Sindlingen, Zeilsheim, Höchst und Unterliederbach die Fingerabdrücke sämtlicher männlicher Einwohner im Alter von 18 bis 49 Jahren, die zur Tatzeit dort wohnhaft waren, genommen und mit am Tatort gesicherten Spuren verglichen.“ (Quelle: BKA)
Das stimmt so nicht, denn die Aktion wurde abgebrochen, weil schon die Zahl der anfangs nicht abgegebenen Abdrücke zu hoch war, was eine Fortführung der Aktion unsinnig erscheinen ließ. Die Maßnahme war „als letzte Hoffnung“, als „letzter Strohhalm“ der Ermittler beschrieben worden.
In den Gastwirtschaften werden zur selben Zeit Bierdeckel mit der Aufschrift verteilt: „Frankfurt sucht einen Mörder“. 4600 Männer zwischen 15 und 45 Jahren geben ihre Abdrücke ab, 54 weigern sich. (Es gibt Quellen, die von 10000 genommenen Abdrücken sprechen, das war aber wohl nur das ursprüngliche Ziel der Aktion).
18.11.2002: Der Berliner Tagesspiegel bringt eine große Geschichte, darin wird vom „Schächten, Schlachten“ gesprochen, von einer zeitlichen Nähe zum „islamischen Opferfest“ ist die Rede. Folgerung: „Der Täter stammt wahrscheinlich aus einem anderen Kulturkreis.“ – „Er konnte metzgern“. In dieser Geschichte wird ebenfalls ein Mann erwähnt, den die Ermittler in Frankreich aufstöberten, der aber zur Tatzeit in einer Prager Klinik gelegen habe.
• 2003:
14. März 2003: Der Leitende Kriminaldirektor Dietrich Sauer legt die Ergebnisse der daktyloskopischen Reihenuntersuchung vor. „’865 Vorgänge fehlten nun noch’, so Sauer. ‚Und so lange die nicht vollständig sind, macht es keinen Sinn, die Reihenuntersuchung in den übrigen vier Stadtteilen fortzusetzen’. (...) Die Soko Tristan, ehedem mehrere Dutzend Mann stark, ist inzwischen auf nur zwei Beamte zusammengeschrumpft.“ (FNP, 15.3.2003)
• 2005:
November: Rudolf („Rudi“) Thomas, seit 1998 Leiter der Frankfurter Mordkommission K 11 geht in Pension.
• 2006:
Uwe Fey und Kollegen schauen noch einmal die Akten durch. Ihnen fallen zum ersten Mal (oder wieder?) die gehäuften Aussagen von Zeugen auf, in denen der Zopfmann bechrieben wird. (Quelle: Crime)
Diesen Ansatz hatte man offensichtlich zwischenzeitlich fallengelassen. Er wird aber fortan, bis zur abrupten Wende im Mai 2016, zehn Jahre lang zur Hauptspur.
• 2007:
Seit März arbeitet eine fünfköpfige „AG Tristan“ an der erneuten Überprüfung des Falles.
10. Juni: Eine Kurzversion der ersten Spiegel TV Magazin–Reportage (von Oliver Becker) über den Fall Tristan wird auf RTL gesendet.
22. Juni: Auf VOX läuft die Langversion derselben Reportage.
• 2008:
25. März: „Nach wochenlangem Spurenstudium hatte Fey gemeinsam mit drei Kollegen dann aber den Schlüssel für die Fall-Präsentation in der ZDF-Sendung ‚Aktenzeichen XY ungelöst’ gefunden. Zur Sendezeit, am 2. April, wird sich der Kriminalist auf jenen Zopfträger konzentrieren, nach dem die Sonderkommission bereits fünf Tage nach Tristans Tod gesucht hatte.“ (Frankfurter Rundschau, 25.3.2008)
26. März: Die Polizei legt das Phantombild vom Zopfmann vor. Es wurde von Liane Bellmann, Mitarbeiterin des Hessischen LKA erstellt. (Express, 8.4.2009)
2. April: XY-Sendung zum Fall Tristan. Dort wird gesagt, die Akte umfasse inzwischen mehr als 21.000 Seiten.
• 2010:
Uwe Fey fährt mit einem Kollegen nach Montpellier (es ist wieder eine Tschechien – Frankreich – Verbindung), um einen Fremdenlegionär zu vernehmen. (Quelle: FAZ 2013)
(Aber stimmt das? Oder ist damit nicht die früher erwähnte Reise nach Perpignan gemeint?)
• 2013:
23. November: Und wieder wird ein neues Täterprofil veröffentlicht: „Die Beamten baten schließlich den renommierten Münchner Profiler Alexander Horn um Mithilfe. Jetzt wird ein männlicher Einzeltäter gesucht, der 1998 zwischen 25 und 35 Jahre alt war, verstärkt Kontakt zu Kindern sucht, sozial zurückgezogen lebt“. (FR, 23.11.2013)
24. November: Die zweite Spiegel-TV-Reportage wird ausgestrahlt.
Hier kommen die ehemaligen Schüler, Jungen, Heimbewohner des heilpädagogischen Vincenzhauses in Hofheim zu Wort, die sich damals mit dem Zopfmann verabredet haben.
In derselben Sendung (wie auch später in „Hallo Deutschland“, 3.9.2014) wird auch Maria Haas interviewt, eine ehemalige Nachhilfelehrerin von Tristan. Sie habe Tristan wenige Tage vor der Tat mit einem Mann gesehen, den sie als den Zopfträger identifizieren wird. Wann diese Aussage der Polizei zuerst zur Kenntnis kam, ist unklar.
9. Dezember: Die Frankfurter Rundschau berichtet, die Polizei habe 200 Hinweise auf den Zopfmann erhalten. Fey wird mit den Worten zitiert, „acht bis zehn seien gut gewesen und werden akribisch weiterverfolgt.“ (FR, 9.12.2013)
• 2014:
18. März: Margit Seel (Frau von Manfred Seel) stirbt. (Todesanzeige in der FAZ vom 5.4.2016)
26. August: Manfred Seel stirbt. (Todesanzeige in der FAZ vom 6.9.2014)
3.September: Die Sendung „Hallo Deutschland“ mit einem Beitrag über den Fall Tristan wird aussgestrahlt. Dort sagt Uwe Fey bei Minute 8:00 „Der Fingerabdruck, der auf Tristans Buch gelegt wurde, und auch gefunden wurde, wurde mit seinem Blut gelegt.“
10. September: Beim Entrümpeln der Garage in der Nordstraße 5 in Schwalbach finden Stephanie Seel (deren Vater Manfred Seel der Mieter dieser Garage war) und ihr Partner zwei blaue Fässer mit Leichenteilen.
22. September: Doris Möller-Scheu, Sprecherin der Frankfurter Staatsanwaltschaft, gibt bekannt, dass es sich bei der Leiche um eine Obdachlose handele, die nicht als vermisst gemeldet worden sei. Sie sei identifiziert. Der Name wird aber noch nicht bekanntgegeben. (FAZ, 23.9.2014).
Dezember 2014: Tristans Vater Bernd Brübach stirbt (59-jährig).
• 2016
19. Mai: Pressekonferenz des LKA Wiesbaden. Die schon ein, zwei Tage zuvor gestreuten Informationen zum Schwalbacher Fall „Alaska“ werden offiziell gemacht. Zum ersten Mal wird „Manfred Seel“ mit Klarnamen benannt, auch das Opfer in den Fässern wird bekanntgegeben: Es handelt sich um die Straßenprostituierte Britta Diallo. Die „Serienmörder“-These steht im Raum und auch ein möglicher Zusammenhang zum Fall Tristan. Auch alle anderen Mordopfer werden mit vollen Klarnamen genannt. Über den Stand der Ermittlungen berichtet Kriminalhauptkommissar Frank Herrmann. Leiter der „Arbeitsgruppe Alaska“ ist Holger Thomsen.
N24 überträgt einen Livestream dieser Pressekonferenz, auf hessenschau.de gibt es eine dürftige Twitter-Zusammenfassung (HRPK).
21. Mai: Der Spiegel bringt eine große Reportage über Manfred Seel (von Julia Jüttner) unter dem Titel „Im Keller brennt wieder Licht“.
22. Mai: Das Spiegel-TV-Magazin bringt eine Reportage (von Daniel Hartung) mit dem Titel „Der Serienmörder von Frankfurt“ über Manfred Seel, die Frankurter Prostituiertenmorde und mögliche Zusammenhänge zum Fall Tristan: „Viele Umstände sprechen dafür, dass Seel im Alltag auf Tristan getroffen ist.“ (Quelle: SPTV 3). Welche Umstände das sein sollen, wird nicht konkretisiert.
31. Mai: Die von einer Privatperson ausgelobte Belohnung in Höhe von 80.000 Euro ist erloschen.
Die von der Staatsanwaltschaft Frankfurt/Main bereitgestellten Belohnung in Höhe von 15.000 Euro und die 5.000 Euro Belohnung einer weiteren Privatperson bestehen weiterhin.
2017
10/2017: Die einzige heiße Spur ist offiziell abgehakt: Ein Anfangsverdacht gegen den mutmaßlichen Serienmörder Manfred Seel konnte sich nicht erhärten lassen. Auf einer auf Spuren untersuchte ehemalige Klarinette von Seel konnten nur drei Fingerspuren gefunden werden, die aber nicht mit dem auf Tristan's Rucksack gesicherten Fingerabdruck vergleichbar waren.
Die zwischenzeitlich gelöschte Internetfahndung wird wieder aufgenommen, die Belohnung allerdings um 80.000 Euro auf derzeit 20.000 Euro reduziert. (Quelle: Hessenschau)
2018
13. Januar: Tristan erhält einen Gedenkort
Als voriges Jahr bekannt wurde, dass die letzte Ruhestätte Tristans abgeräumt werden soll, versuchten sofort Menschen, einen Weg zu finden, um einen Ort der Erinnerung für Tristan Brübach zu schaffen. Jetzt ist ein Weg gefunden: Das für die Friedhöfe zuständige Grünflächenamt hat alle, die wegen des Tristan-Grabs aktiv geworden sind, an einen Tisch geholt. „Wir haben eine Einigung erzielt“, sagt der für Friedhofsangelegenheiten zuständige Thomas Bäder. Vereinbart wurde, den Grabstein Tristans mit dem liegenden Herzen im Frühjahr vom bisherigen Erd-Reihengrab zu entfernen und in etwa 80 Meter Entfernung unter einem Baum als Gedenkstein neu zu setzen, so dass das Grab abgeräumt werden könne.
„Der Steinmetz ist schon beauftragt“, sagt Bäder. Von verschiedenen Seiten waren dafür bereits Spenden gesammelt worden (wir berichteten); Cornelia Scherf, die über diese Zeitung um Unterstützung gebeten hatte, ist jetzt involviert – und bedankt sich bei den Spendern. Geschaffen werden solle „ein permanenter Gedenkort ohne größere gärtnerische Gestaltung“, sagt Thomas Bäder. Die Wiese rund um den Stein solle von den Mitarbeitern des Grünflächenamts gepflegt werden. Ein Termin für die Umsetzung sei noch nicht vereinbart; die Aktion sei aber für dieses Frühjahr vorgesehen. (Quelle: FNP)
Die Kürzel für die grundlegenden Quellen:
BKA= Die Hauptseite des Bundeskriminalamtes zum Fall Tristan. Von dieser aus gelangt man auf die anderen Seiten mit Biografie, Tathergang, Fotos etc: m https://www.bka.de/nn_196810/DE/Fahndun ... __nnn=true m
Crime= Stern Crime, Ausgabe Nr. 01, Sommer 2015
HD= Hallo Deutschland, ZDF, gesendet am 3.9.2014
HRPK= „Serienmörder-Pressekonferenz zum Nachlesen“ (Frank von Bebber), Twitterzusammenfassung auf hessenschau.de:, 19.5.2016 - m http://hessenschau.de/panorama/serienmo ... d-100.html m
FAZ= Frankfurter Allgemeine Zeitung
FAZ 2013= Artikel in der Frankfurt Allgemeinen Zeitung vom 23.3.2013
FNP= Frankfurter Neue Presse
FR= Frankfurter Rundschau
SPTV 1= Erste Spiegel TV Reportage über den Fall Tristan. 10.6.2007
SPTV 2= Zweite Spiegel TV Reportage über den Fall Tristan 24.11.2013
SPTV 3= Dritte Spiegel TV Reportage „Der Serienmörder von Frankfurt“, 22.5.2016
XY= Folge der Sendung Aktenzeichen XY mit einem Beitrag über den Fall Tristan, ausgestrahlt am 2.4.2008
► Biografie
Tristan war das einzige Kind der Eheleute Iris und Bernd Brübach. Er wurde am 03.10.1984 in Frankfurt geboren und wuchs in den Frankfurter Stadtteilen Höchst und Unterliederbach auf.
Im Jahre 1995 verstarb seine Mutter, als sie in Sichtweite des Höchster Friedhofes von einem Hochhaus sprang. Bernd Brübach musste als allein erziehender Vater seine Vollzeitbeschäftigung beibehalten, um die Lebenshaltungskosten der Familie bestreiten zu können.
Tristan entwickelte sich trotz des tragischen Verlustes der Mutter relativ gut und altersgerecht.
Bernd Brübach wurde durch Tristans Großmutter unterstützt, die dem Jungen zusätzlichen Halt gab.
Tristan besuchte zuletzt die 5. Klasse der Meisterschule in Frankfurt-Sindlingen, auf die er kurz zuvor von der Walter-Kolb-Schule in Frankfurt-Höchst gewechselt war.
Tristan versuchte, körperliche Auseinandersetzungen mit Gleichaltrigen oder älteren Jugendlichen zu vermeiden, wurde aber dennoch häufig von diesen angegriffen, teilweise sogar beraubt.
Da Tristan schon früh selbständig werden musste, bewegte er sich trotz seiner 13 Jahre ziemlich selbständig in Höchst. Dabei könnte es zu flüchtigen Kontakten zu Personen der sogenannten "Szene" gekommen sein, ohne dass man Tristan deshalb als Angehöriger des kriminellen Milieus bezeichnen könnte.
Er erscheint eher so, dass Tristan seinem Mörder zufällig begegnete. Allerdings kann auch nicht völlig ausgeschlossen werden, dass Tristan bereits zuvor einmal mit seinem späteren Mörder zusammentraf.
Tristans Biografie beim BKA
Hadayatullah Hübsch : Tristan oder Die Traurigkeit der Gewalt aus: Von out bis cool: Jugend und Jugendkultur in Hessen : ein Lesebuch Tristan oder Die Traurigkeit der Gewalt von Hadayatullah Hübsch
Die Straßen hier sind so eng, daß ein Auto, wenn Gegenverkehr kommt, auf den Bürgersteig fahren muß, um den anderen passieren zu lassen. Alemannenweg, Cheruskerweg, Teutonenweg, Chattenweg sind ihre Namen, durchschnitten von der Busstrecke, die Engelsruhe heißt. Hier leben in kleinen, zweigeschossigen Wohnblocks, die nach dem 2. Weltkrieg schnell und billig hochgezogen wurden, Menschen aus vielen Nationen ziemlich dicht beieinander, Türken, Marokkaner, Italiener, Jugoslawen, Deutsche - zwischen Kleinbürgertum und Asozialität. Der Anteil rechtsradikaler Wähler ist im Vergleich zu anderen Stadtteilen Frankfurts sehr hoch. Mittelpunkt des öffentlichen Lebens ist der Kiosk von Franz. So wird er immer noch genannt, obwohl Franz schon vor ein paar Jahren an Krebs gestorben ist. Schon frühmorgens versammeln sich hier Arbeitslose und Rentner zu Flaschenbier, Flachmännern und Zigaretten. Im Sommer ist auf demkleinen Vorplatz am Büdchen eine Tischtennisplatte aufgebaut, das verschafft Bewegung, irgendwie ist so ein Bierbauch ja auch unappetitlich. Und während auf ein paar wackeligen Klappstühlen die einen sitzen und dem Akkordeonspieler lauschen, der wieder mal La Paloma anstimmt, wechseln die anderen ein paar Bälle, bis zur Zigarettenpause und dem nächsten Schluck.
An die fensterlose Hauswand schräg gegenüber hat schon vor langer Zeit jemand mit riesigen Buchstaben den Spitznamen des jüngsten Sohnes eines Italieners gepinselt, der hier seine 11 Kinder großgezogen hat. Und weil der Graffitikünstler es nicht besser wußte, steht nun statt »Ratte« nur »Rate« am schmutzigen Putz. Aber irgendwie ist das auch richtig, denn die Leute leben hier auf Raten. Groß Geld verdient keiner. Arbeiter sind sie, manche leben auf Sozialhilfe oder Stütze. Einmal hat die »Ratte« das Straßenschild verhängt, mit einem Pappschild, auf dem in ungelenker Schrift »In the Ghetto« zu lesen war. Der Fahrplan an der Bushaltestelle ist, kaum aufgehängt, schon wieder verschwunden. Es ist ein Spaß, den die Halbwüchsigen sich leisten. Alle paar Wochen fackeln sie auch den Plastikkorb ab, der an dem Busschild hängt. Was sollen sie auch sonst schon tun. Wenn es dunkel geworden ist, hängen sie an der Telefonzelle rum, die vor dem Kiosk steht. Natürlich ist sie oft unbenutzbar, weil wieder mal jemand den Hörer abgerissen hat. Das ist aber nicht so schlimm, denn die Cleveren unter den 16jährigen haben Handy, schließlich sind sie Unternehmer: Sie sind Kleindealer, die sich den Stoff zum Kiffen aus jenen Stadtteilen besorgen, die dem ihren benachbart heftiger zugeht. Da sind Jugendbanden am Werk, entwurzelte Türken, Marokkaner und Deutsche, die sich, bunt gemischt, schon mal eine Straßenschlacht liefern. Kiffen ist der Hit. Die Polizei kümmert sich kaum drum. Die ist hinter den connections her, will den Kopf der Schleuserbande und gibt sich nicht mit den 15jährigen ab, die sich beim Gangster-Rap in eine andere Welt versetzen und in Kellern rumhängen, die ihnen die Eltern überlassen haben, damit sie ihnen nicht über den Weg laufen. Hier können sie sich die Horror-, Kung-Fu-, Action- und Gewaltfilme reinziehen, die sie sich über ältere Freunde aus den umliegenden Videotheken ausleihen. Mädchen spielen dabei kaum eine Rolle. Man bleibt unter sich und geizt nicht mit krassen Worten. Neger, fette Sau, Zigeuner sind die beliebtesten Schimpfworte, mit denen sie sich eindecken. Die Eltern haben die Nase von allem voll. Einfache Arbeiter, Gelegenheitsmalocher, die froh sind, in Ruhe gelassen zu werden, ihren Kasten Bier zu trinken und die Zeitung zu lesen, wie Bild hier genannt wird. Manche Väter dealen selbst, wird gemunkelt. Aber Heroin ist »out«, man hat zuviel gehört und gesehen von den Junkies, wenn auch der eine oder andere schon mal eine Nase »horse« geschnieft hat. Aber man will ja auch Auto fahren, das geht schlecht, wenn man total zu ist. Und außerdem ist es aufregend, in den Supermärkten oder im nahe gelegenen Main-Taunus-Einkaufszentrum klauen zu gehen. W. ist einer von ihnen. 16, für sein Alter sehr kräftig. Er hat schon fast alles mitgemacht. Alte Frauen überfallen, rumgesoffen und sich seit Jahren schon an die tägliche Ration Zigaretten gewöhnt. Er spielt gern Macho, läuft O-beinig und schwerfällig auf den Straßen rum und tut groß. Sein Vater hat ihn, als er noch klein war, häufig geschlagen. Das gibt er nun weiter. Warum soll es anderen besser ergehn als ihm. Er ist Türke, aber vom Islam weiß er nichts. Religion hat nichts zu bedeuten. Angesagt ist die Macht. » Unterliederbach - Die Macht« kritzelt er auf die Trafohäuschen. Er macht anderen angst, und er weiß warum. So hat er es in den Videos gesehen. Wer nicht nur das Maul aufreißt, sondern auch hart zuschlagen kann, ist der King. Das war auch das Motto von Tristan. Sein Vater ist Arbeiter und, wenn er nach Hause kam, zu müde, um sich noch dem Sohn zu widmen. Daß er Schokolade mitbringt, ist alles, was er für ihn tun konnte. Seine Mutter indes war ständig in Sorge um ihren einzigen. Der war schlecht in der Volksschule, und sie konnte ihm nicht helfen, weil sie es auch nicht besser wußte. Ständig klingelte sie bei den Nachbarn und bat fast heulend um Hilfe. Irgendwann war ihr alles zuviel. Sie ist nach Sachsenhausen gefahren, in ein Hochhaus gestiegen und hat sich zu Tode gestürzt. Was genau sie in den Selbstmord getrieben hat, darüber schweigt man sich aus. Der Vater ist dann fortgezogen, in ein Kaff ein paar Kilometer außerhalb der Stadtgrenze. Aber Tristan hat es immer wieder in seine alte Gegend gezogen. Hier lungerte er rum und lauerte den kleinen Jungs auf, die er bei der leisesten Provokation verprügelte, so daß sie es nicht mehr wagten, alleine aus dem Haus zu gehen, und sei es nur, um den Mülleimer auszuleeren. Mit den anderen Gleichaltrigen in der Gegend verband ihn alles, was verboten war. Klauen, Kiffen, Saufen, Rauchen, Omas kaschen. Manchmal saß er einsam am Rinnstein und grübelte vor sich hin. Seine Freunde versorgten ihn mit Drogen, er hatte immer Geld in der Tasche, keiner weiß woher. In den umliegenden Stadtteilen kannte er sich gut aus. Er wußte, wo Haschisch gehandelt wird und wo es Hehlerware gibt. Aber immer wieder zog es ihn zurück zu seinem alten Haus. Dann hatte es ihn erwischt. In der Nähe vom Bahnhof Höchst, der in der Nähe seiner alten Wohnung liegt, wurde er ermordet aufgefunden. Bestialisch ermordet. Die Polizei gab zunächst keine Einzelheiten bekannt. Und die Zeitungen schrieben von dem unschuldigen Kleinen, der aus unbegreiflichen Gründen ums Leben gekommen war. Als die Nachricht im Viertel die Runde machte, war von kleinen Jungs ein Seufzer der Erleichterung zu hören: »Jetzt habe ich keine Angst mehr«, hieß es. Polizei kämmte die Wohnblocks durch und fragte, ob jemand Genaueres wüßte, mit wem Tristan zusammengewesen war. Aber Genaueres weiß man hier nicht. Vor allem nicht, wenn die Polizei danach forscht. Also blieb das Bild eines sanft aussehenden blonden Knaben in Tageszeitungen und auf Fahndungsplakaten alles, was von ihm bekannt war. Keiner schrieb, wie es wirklich um ihn bestellt war. Er sei gut zu seiner Großmutter gewesen, ein lustiger Junge, dessen Mutter traurigerweise schon früh gestorben war. Unfaßbar. So ein lieber Junge. Die Halbwüchsigen im Viertel wußten es besser. Sie lachten über die Märchen, die die Reporter verbreiteten. Langsam sickerte dann die Wahrheit über Tristan in die geschockte Öffentlichkeit. Daß seine Mutter nicht einfach so gestorben war, sondern sich umgebracht hatte. (Warum, interessierte indes keinen.) Daß er trotz seiner jungen Jahre ein Kleinkrimineller gewesen war. Daß er Furcht und Schrecken verbreitete, wohin er kam. (Woher das kam, das interessierte keinen.) Daß die Jugendlichen im Viertel ihren Lebenssinn im Kiffen, Abhängen, Video- Glotzen und Klauen sahen, schrieb keiner. Nur aus dem lieben Tristan wurde plötzlich eine Bestie in Kindergestalt. Bei einem Prozeß, den Tristans Vater angestrengt hatte, weil jemand mal Tristan eine Ohrfeige gegeben hatte, dämmerte es einigen, daß Tristan ein lausiger Einzelgänger war. Weiß Gott, warum er so verwahrloste. Warum er schlug. Und warum er geschlagen wurde. Die Zeitung brachte es dann an den Tag, daß Tristan eben kein Lockenkopf gewesen war, den mir nichts, dir nichts jemand aus unverständlichen Motiven auf tierische Art erstochen, erwürgt, malträtiert Aber eben ein Einzelgänger. Unser Bub tut so etwas nicht. Tristan, der Abscheuliche. Daß er seine Raubzüge, seine Bedröhnungen anderen abgeschaut hatte und ins Extrem trieb, wurde also nicht Gegenstand der öffentlichen Debatte. Ein Einzelfall , hieß es weiterhin. Schicksal. Die Mutter. Und was alle im Viertel wußten, daß die 16jährigen im Viertel an den Wochenenden bis nachts um drei auf den Straßen umhertigerten, sich zuballerten und dann zum Einschlafen noch ein Horrorvideo anschauten, daß sich kein Streetworker und kaum ein Sozialarbeiter um die Verwahrlosten kümmert, daß die Lehrer mit all dem nichts zu tun haben, daß Nazi- Parolen die Runde machen, wurde geflissentlich nicht zur Kenntnis genommen. Solange es hier nicht Straßenschlachten gab und sich die Kleinkriminalität in Grenzen hielt und die Dealerei über ein paar Gramm nicht hinausging, konnte es ruhig so bleiben. Bis dann die Zeitung eine große Geschichte brachte. Die Wahrheit über Tristan, die schon beim Prozeßbericht leise angeklungen war, wurde jetzt schonungslos ausgebreitet. Offensichtlich wußte sich die Polizei keinen anderen Ausweg mehr, um dem grausamen Mörder doch noch auf die Spur zu kommen. Tristan, so war es nun zu lesen, war ein schlimmer Knochen. In Hehler- und Dealer-Kreise verwickelt. Sein Mörder mußte ihn gut gekannt haben. Daß er ihn so grauenhaft zurichtete, regelrecht abschlachtete, weise auf einen Einzelgänger hin.
Über das Motiv gab es aber noch nicht einmal Vermutungen. Wie jemand dazu kommen konnte, so unmenschlich auszurasten und den Jungen so abscheulich zuzurichten, entzieht sich der Kenntnis der Psychologen. Vermutlich ein Einzelgänger, der Computerspiele liebt und sich in Spielhallen rumtreibt. Ein Einzelgänger wie Tristan. Daß es in diesem Viertel von Einzelgängern nur so wimmelt, auch wenn sie sich zusammenrotten, hat keiner je beobachtet. Und es gibt ja fürwahr schlimmere Viertel. Das wissen auch die 16jährigen hier. Hier ist alles noch beschaulich und überschaubar. Kiffen, Videos, Rumhängen, Gangster-Rap. Das ist normal. Schließlich gibt es hier keine Banden. Alles nur Einzelgänger. Einzelgänger wie Tristan. Oder wie die Tristane sonst noch heißen. In lauen Sommernächten sitzen die Erwachsenen in ihren Kleingärten. »Angie« von den Rolling Stones läuft. Und das Bier wird nicht alle. Die Kinder stören nur dabei. Sie sollen doch tun und lassen, was sie wollen. Und ihre Freiheit genießen. Und sich mit den Pennern anfreunden, das ist doch nur menschlich. Und ein Bier hat noch keinem geschadet. Von Zigaretten ganz zu schweigen. Und Kiffen gehört doch auch irgendwie dazu, zum Leben. Oder zum Tod. Der Mörder von Tristan ist noch frei.
Aber die Jugendlichen furchten sich nicht vor ihm. Wenn wir zu dritt oder zu viert sind, kann uns keiner, sagen sie. Kiffen macht stark. Und außerdem sind wir »Die Macht«. Und in den Filmen ist es ja auch so, daß der Mann, der rot sieht, siegt. Und schließlich sind wir keine Neger. Wir sind doch keine Ausländer. Unsere Eltern vielleicht, aber wir doch nicht. Und an der Litfaßsäule, die neben dem Telefonhäuschen steht, sagt der Spruch vom Kommerzradio, wo's lang geht. »Eure Eltern werden kotzen«, verheißt das Plakat. Oder sie springen vom Hochhaus. Oder sie prügeln uns. Oder sie lassen uns in Ruhe, was sollen sie sonst schon tun. Was könnten sie uns auch schon beibringen! Die Videos können das besser. Da ist ein Mann noch ein Mann. Eben »Die Macht«. Und Tristan war ein armes Schwein. Einfach zu kraß.[/name]
Teil 2: Sachverhalt
Am Donnerstag, den 26.03.1998 gegen 16:00 Uhr, wurde der 13-jährige Tristan Brübach in einem Tunnel entlang des Liederbaches von zwei Kindern tot aufgefunden. Dieser Tunnel befindet sich westlich vom nahegelegenen Bahnhofes im Frankfurter Stadtteil Höchst, unterquert die Bahngleise zwischen dem südlichen Bahnhofsbereich und dem nördlichen Wohngebiet Unterliederbach und wurde von Ortskundigen -meist von Kindern und Jugendlichen- als Abkürzung, zu Mutproben, Wandmalereien (Graffitis) und -speziell der schwer einsehbare südliche Tunneleingang- als beliebter Treffpunkt benutzt.
► Lageübersicht
Größere Kartenansicht
Südlicher Tunneleingang (Bahnhofseitig)
Nördlicher Tunneleingang (Wohngebiet Unterliederbach)
Tristan wurde von dem/den Täter/n geschlagen, gewürgt und durch einen tiefen Schnitt durch die Kehle ermordet. Außerdem wurden dem Jungen zahlreiche Stich- und Schnittverletzungen zugefügt und der Leichnam post mortem verstümmelt.
Eindeutige Hinweise zum Tatmotiv liegen nicht vor. Auch ist keine abschließende Aussage zu der Frage möglich, ob der oder die Täter im Bereich des Tunnels auf ihr Opfer warteten, ob sie Tristan unter einem Vorwand nach unten lockten, oder ob sie nach Tristan am Tatort eintrafen.
Mordfall Tristan Neue Spuren (24.11.2013)
Name: | Brübach |
Vorname: | Tristan |
Geboren am: | 03. Oktober 1984 |
Geburtsort: | Frankfurt/Main |
Staatsangehörigkeit: | deutsch |
Todestag: | Donnerstag, 26. März 1998 |
Alter: | 13 |
Fundort: | Frankfurt-Höchst, Liederbach Tunnel |
Todesursache: | Schnitt durch die Kehle |
Täter/in: | Unbekannt |
Motiv: | Unbekannt |
► Chronologie von @marthaler .
• 1984:
3. Oktober: Tristan Brübachs Geburt
• 1995:
Tristans Mutter, Iris Brübach, begeht Suizid, laut Fey ein Hochhaus in Sichtweite des Höchster Friedhofs
• 1998:
Donnerstag, 26. März 1998: Tristan Brübach, 13 Jahre, Schüler der fünften Klasse in der Meisterschule in Sindlingen, wird ermordet.
Der bislang ermittelte Tagesablauf, der Tatverlauf, das Verletzungsbild und die Spurenlage am Tatort können auf der Internetseite des BKA (Quelle: BKA) und hier im Forum nachgelesen werden.
Noch in der Tatnacht wird Tristans Leichnam nach einer langwierigen äußeren Leichenschau von Prof. Hansjürgen Bratzke sechs Stunden lang obduziert. Sektionsnummer: 282/98.
Zu dieser Zeit ist Rudolf („Rudi“) Thomas Leiter der Mordkommission K11, die den Fall ermittelt.
27. März: Die Polizei bittet auf Flugblättern und Plakaten um Hinweise (FNP, 30.3.1998)
30. März: Ein Fallanalytiker des BKA wird eingeschaltet. Die Zusammenarbeit mit dem BKA sei zur Klärung der Frage, ob es sich um einen „Triebtäter“ handele, „obligatorisch“. (FR 31.3.1998)
Ende März: Aussage einer 12-Jährigen, sie habe einen unbekannten Zopfträger in der Nähe des Tatorts gesehen. Laut Ermittler Uwe Fey sagte die Zeugin, sie habe ihn gegen 15.50 Uhr am Tattag aus einem Gebüsch kommen sehen. (Quelle: HD)
Es wurde damals zwar ermittelt, aber seine Identität konnte nicht festgestellt werden.
31. März: Der Liederbach am Tatort wird trockengelegt. Metalldetektoren und Spürhunde kommen zum Einsatz. (FNP, 1.4.1998)
1. April: Ein erstes Täterprofil wird veröffentlicht: Demnach sei der Täter „ein etwa 20 bis 40 Jahre alter Mann mit ‚abnormer Veranlagung’. Der Wissenschaftler, so die Polizei, gehe davon aus, dass es sich um einen psychisch gestörten Einzelgänger handele, der sich sozial auffällig verhalte.“ (FNP, 1.4.1998)
1. April: „Wie die FR aus Justizkreisen erfuhr, sind an der Leiche des Schülers keine Spermaspuren gefunden worden“ (FR, 1.4.1998)
Im selben Artikel wird erstmals berichtet, dass die Polizei nach dem „Ranzen“ Tristan Brübachs suche. Gemeint ist der später gefundene Rucksack der Marke Fishbone.
2. April: Erstmals wird nun öffentlich ein Zopfmann beschrieben. Die Beschreibung stützt sich auf die Aussagen der 12-Jährigen: „Der auf 18 bis 25 Jahre geschätzte Mann hatte das Haar zu einem Zopf gebunden. Er trug eine Baseballmütze, eine schwarze Lederjacke und dunkle Jeans. Der Mann soll breitschultrig sein und eine sportliche Figur haben.“ (FR, 2.4.1998)
2. April: Eine Tür-zu-Tür-Befragung der Ermittler führt ebenfalls am 2. April 1998 zu der Aussage zweier Anwaltsgehilfinnen, die bezeugen, es habe sich kurz nach der Tat ein junger, nervöser Mann bei ihnen gemeldet, der – sinngemäß – gesagt habe: „Ich habe Mist gebaut; ich brauche einen Anwalt“. Die beiden Frauen schicken den Mann zu einem Strafverteidiger, bei dem er nie ankommt. Beschreibung des Mannes: 20 bis 30 Jahre alt; ungefähr 1,75 Meter groß; langes, dunkelblondes Haar, das zu einem Zopf gebunden war; auffällige vertikale Veränderung an der Oberlippe. Er sprach ohne auffälligen Akzent oder Dialekt. (Quelle: SPON 1)
Anfang April: Wiederum laut Uwe Fey (Quelle: HD) hat sich etwa zeitgleich, also ebenfalls eine Woche nach der Tat, ein Vater gemeldet, der berichtete, dass sein Sohn und andere Kinder des Vincenzhauses in Hofheim von einem Zopfmann belästigt wurden. Dieser sei mit ihnen auch nach Höchst gefahren und habe ihnen Süßigkeiten gekauft.
Montag, 6. April: Tristan wird auf dem Höchster Friedhof im engsten Familien- und Freundeskreis beerdigt. (FR, 7.4.1998)
Sein Grab liegt in Feld 11 unter Birken an der nördlichen Umgrenzung.
7. April: Ein anonymer Anrufer, der sich "Dirk Meier" nennt, meldet sich bei der Polizei: „Hier ist Tristans Mörder“. Aber wenn man genau hinhört, sagt er zwei Mal nicht Tristan, sondern „Tristian“. Diese Spur wird erst im Sptember 1998 veröffentlicht.
11. April: Zweites Täterprofil; Kehrtwende beim BKA. Täter und Opfer werden völlig neu charakterisiert. Demnach „glauben die Ermittler nun nicht mehr an die Tat eines Psychopathen, wie es noch in einem ersten Gutachten geheissen hatte. Damit erscheine die Gefahr einer Wiederholungstat deutlich geringer, erklärte jetzt Polizeisprecher Peter Öhm. (...) Die Gutachter kamen zu dem Schluss: Das Bild eines wahllos vorgehenden Täters sei nicht mehr wahrscheinlich. Vielmehr dürfte es sich um einen nichtdeutschen Mörder handeln - das glauben die Experten aus der Tatausführung schließen zu können. Zudem sei der Mann wahrscheinlich zwischen 17 und 27 Jahre alt und habe sein Opfer unter Umständen gekannt. (...) Unklar bleibe das Motiv. Hinweise auf eine Sexualstraftat lägen trotz der Stichverletzungen im Genitalbereich der Leiche nicht vor. Der am 26. März ermordete Schüler war nach Auffassung der Ermittler keineswegs das unauffällige Kind, wie es zunächst den Anschein hatte. Der nach dem tragischen Tod seiner Mutter beim berufstätigen Vater lebende Junge hatte nach Auskunft zahlreicher Zeugen große Freiräume. Einen erheblichen Teil des Tages habe Tristan auf der Straße ohne väterliche Kontrolle verbracht. Wörtlich heißt es im Polizeibericht über Tristan: ‚Hinweisgeber aus seinem Umfeld bezeichnen seinen Lebensstil als ,street life’ unter Hinweis auf sich daraus ergebende Gefahren eines von elterlicher Kontrolle weitgehend unberührten 13jährigen Jungen.’“ (FNP, 11.4.1998)
18. April: Die SoKo Tristan ist um 20 Beamte aus Darmstadt erweitert worden, sodass nun 120 Ermittler an dem Fall arbeiten. (FNP, 18.4.1998)
22. April: „Die Nachforschungen konzentrieren sich mittlerweile auf die Szene am Höchster Bahnhof, zu der Obdachlose, Drogenkonsumenten und Homosexuelle gehören. In diesem Milieu soll sich Tristan gelegentlich aufgehalten haben.“ (FR, 22.4.1998)
15. Mai: Ermittlungsleiter Rudolf Thomas wird mit den Worten zitiert: „Dieser Mann muss mit einem unbändigen Hass gemordet haben.“ (FR, 15.5.1998)
3.Juni: Die Polizei gibt den Fund eines Fingerabdrucks bekannt: „’Wir gehen davon aus, dass er vom Täter gelegt worden sein könnte’, erklärte dazu gestern Peter Öhm, der Leiter der Polizeipressestelle Frankurt, vorsichtig.“ (FNP, 4.6.1998)
16. September: Unter einer Telefonnummer der Polizei kann man jetzt einen Zusammenschnitt der Tonbandaufzeichnung abrufen, auf dem der anonyme Bekenner vom 7. April zu hören ist. (FR 16.9.1998)
21. September: Auf Sat 1 wird die Sendung „Fahndungsakte“ mit einem Beitrag zum Fall Tristan ausgestrahlt.
• 1999:
1. März: Rudolf Thomas wird mit den auf Tristan bezogenen Worten zitiert: „Er war wohl mehr Prügelknabe als böser Bube“. (FNP, 1.3.1999)
23. März: Tristans Vater, Bernd Brühbach, wendet sich mit einer persönlichen Botschaft an die Öffentlichkeit, in der er erklärt, dass er sich nicht am öffentlichen Gedenken zum Jahrestag der Ermordung seines Sohnes beteiligen werde: „Ich werde zu Hause versuchen, damit fertig zu werden.“ (FR 23.3.1999)
In diesen Tagen um den Jahrestag herum, veröffentlicht die Polizei, um die Bevölkerung zu sensibilisieren und zu emotionalisieren, Einzelheiten über das Verletzungsmuster und auch Tristans Stimme vom heimischen Anrufbeantworter: „Hier ist der Anrufbeantworter von Bernd und Tristan Brübach ...“. Mit Berufung auf den Polizeisprecher Job Tilmann wird berichtet, dass der Täter seinem Opfer Muskelfleisch und Hoden entnommen und „sie höchstwahrscheinlich in dessen Rucksack transportiert“ habe. (Stuttgarter Nachrichten, 25.3.1999)
25. März 1999 (Quelle für das Datum: Uwe Fey in XY): In einem Wald bei Niedernhausen in der Nähe des Eselskopfes führt der Mitarbeiter eines Energieversorgungs-Unternehmes die Polizei zu Tristans Rucksack. Darin wird eine Deutschland-Karte mit tschechischer Schrift gefunden, außerdem ein Gaskocher (Aussage von Uwe Fey in SPTV 2). Auch ein altes Kampfmesser und der Aufsatzring eines tschechischen Gas- oder Elektrokochers werden in der Nähe gefunden (Quelle? Es gab davon Fahndungsfotos)
Die Ermittlungen bei den tschechischen und polnischen Bahnarbeitern, die in der Nähe an der ICE-Trasse arbeiten und dort ihre Unterkünfte haben, bleiben ergebnislos.
Offensichtlich wurden diese Spuren sehr schnell bekannt gemacht. Unter anderem gab es eine öffentliche Fahndung mit mehreren Fernsehbeiträgen in Tschechien.
Eine Zeugin berichtet, ihr sei im Wald bei Niedernhausen, nicht weit vom Fundort des Rucksacks, ein verwirrter, verwahrloster Mann begegnet, der ihr erzählt habe, er komme gerade aus Tschechien und wolle zu Fuß zurück nach Frankreich zu seiner Schafherde. Mithilfe von Interpol und der französischen Polizei wird der Mann ausfindig gemacht, ein ehemaliger Fremdenlegionär. Er war zur Tatzeit in Prag im Krankenhaus (Quelle: SPTV 1).
Andere Quellen berichten, die Zeugin habe diesen Mann kurz nach der Tat als Anhalter mitgenommen. (FNP, 26.3.2004)
Die Nacht vom 7. auf den 8.Oktober 1999: Öffnung von Tristans Grab durch einen oder mehrere Unkekannte. Der oder die Täter gingen dabei sehr sorgfältig vor. Die Aktion wurde aber nicht vollendet, der oder die Täter nie ermittelt. „Tristans Großmutter findet das Grab ihres ermordeten Enkels aufgewühlt vor, als sie es besuchen will.“ (Höchster Kreisblatt, 26.3.2013)
Der Text von Hadayatullah Hübsch „Tristan oder die Traurigkeit der Gewalt“ erscheint. Darin wird Tristan als ein ziemlich rabiates Straßenkind beschrieben. (Allerdings, man erlaube mir diese Bemerkung, da ich ihn kannte: Hübsch war ein gutmütiger, aber auch ein durchaus spinöser, von seinen persönlichen Obsessionen getriebener Autor).
• 2000:
1. März: Die Frankfurter Neue Presse berichtet nun: „Erste Vermutungen, der Mörder könnte die Leichenteile in dem Tornister abtransportiert haben, bestätigen sich nicht. (...) Auch das Messer – mit Sicherheit nicht die Tatwaffe – und der Kocher liefern keine neuen Erkenntnisse.“ (FNP, 1.3.2000)
Irgenwann im Jahr 2000: Ein Junge sagt aus, er sei dem Zopfmann um die Tatzeit herum immer wieder begegnet. Jetzt, im Jahr 2000, will er gesehen haben, wie der Zopfmann aus dem inzwischen vergitterten Tunnel gekommen ist (unter dem Gitter durchtauchend). Das hieße, der Zopfmann hätte den Tatort zwei Jahre später noch einmal aufgesucht. (Quelle: SPTV 2)
• 2001:
26. März: Die Frankfurter Neue Presse legt nahe, dass es sich bei dem am Tatort gefundenen Fingerabdruck doch um Täter-DNA handelt. Ein Umstand, der von keinem anderen Medium aufgegriffen wird. Stattdessen wird jetzt von „Gen-Mikrospuren“ gesprochen, die möglicherweise vom Täter stammen könnten.
Die FNP hingegen: „Und dennoch könnte der Abdruck dem Killer zum Verhängnis werden. Denn anders als ursprünglich angenommen, stammt das Blut, das ihn hinterließ, nicht von dem 13 Jahre alten Jungen, sondern von seinem Mörder. Das ist das Ergebnis aufwendiger Untersuchungen im Kriminaltechnischen Institut Lausanne, wie der Frankfurter Polizei-Vizepräsident Wolfgang Daschner gegenüber der FNP bestätigte. Ob das dort gesicherte DNA-Material, der genetische Fingerabdruck des Mörders, allerdings für weitere aufwendige Analysen ausreicht, ließ Daschner offen.“ (FNP, 26.3.2001)
• 2002:
Uwe Fey übernimmt die Leitung der Ermittlungen.
3.Mai: In einem gemeinsamen Pressepapier von Polizei und Staatsanwaltwaltschaft Frankfurt heißt es nun ganz offiziell, dass auf dem Schulbuch Tristans „ein mit Blut des Opfers gelegter Fingerabdruck gesichert werden konnte“. Also keine Täter-DNA. (na-news aktuell: POL-F: 020503 – 0505, 3.5.2002)
4. Mai: Die Staatsanwältin Annette von Schmiedenberg wird mit den Worten zitiert, „es gebe zudem eine gentechnisch bedingt auswertbare Spur in Form von Hautpartikeln mit nur drei DNA-Systemmerkmalen. Für einen genetischen Reihentest seien mindestens acht erforderlich.“ (FNP, 4.5.2002)
10.5.2002: Die Massenabnahme der Fingerabdrücke beginnt. Eigentlich war diese Aktion bereits für den Herbst 2001 geplant, war aber verschoben worden, weil die Terroranschläge vom 11.September einen verstärkten Polizeieinsatz erfordert hatten. (FNP, 19.4.2002)
„Seit dem 10.05.2002 wurden in den Frankfurter Stadtteilen Sossenheim, Nied, Sindlingen, Zeilsheim, Höchst und Unterliederbach die Fingerabdrücke sämtlicher männlicher Einwohner im Alter von 18 bis 49 Jahren, die zur Tatzeit dort wohnhaft waren, genommen und mit am Tatort gesicherten Spuren verglichen.“ (Quelle: BKA)
Das stimmt so nicht, denn die Aktion wurde abgebrochen, weil schon die Zahl der anfangs nicht abgegebenen Abdrücke zu hoch war, was eine Fortführung der Aktion unsinnig erscheinen ließ. Die Maßnahme war „als letzte Hoffnung“, als „letzter Strohhalm“ der Ermittler beschrieben worden.
In den Gastwirtschaften werden zur selben Zeit Bierdeckel mit der Aufschrift verteilt: „Frankfurt sucht einen Mörder“. 4600 Männer zwischen 15 und 45 Jahren geben ihre Abdrücke ab, 54 weigern sich. (Es gibt Quellen, die von 10000 genommenen Abdrücken sprechen, das war aber wohl nur das ursprüngliche Ziel der Aktion).
18.11.2002: Der Berliner Tagesspiegel bringt eine große Geschichte, darin wird vom „Schächten, Schlachten“ gesprochen, von einer zeitlichen Nähe zum „islamischen Opferfest“ ist die Rede. Folgerung: „Der Täter stammt wahrscheinlich aus einem anderen Kulturkreis.“ – „Er konnte metzgern“. In dieser Geschichte wird ebenfalls ein Mann erwähnt, den die Ermittler in Frankreich aufstöberten, der aber zur Tatzeit in einer Prager Klinik gelegen habe.
• 2003:
14. März 2003: Der Leitende Kriminaldirektor Dietrich Sauer legt die Ergebnisse der daktyloskopischen Reihenuntersuchung vor. „’865 Vorgänge fehlten nun noch’, so Sauer. ‚Und so lange die nicht vollständig sind, macht es keinen Sinn, die Reihenuntersuchung in den übrigen vier Stadtteilen fortzusetzen’. (...) Die Soko Tristan, ehedem mehrere Dutzend Mann stark, ist inzwischen auf nur zwei Beamte zusammengeschrumpft.“ (FNP, 15.3.2003)
• 2005:
November: Rudolf („Rudi“) Thomas, seit 1998 Leiter der Frankfurter Mordkommission K 11 geht in Pension.
• 2006:
Uwe Fey und Kollegen schauen noch einmal die Akten durch. Ihnen fallen zum ersten Mal (oder wieder?) die gehäuften Aussagen von Zeugen auf, in denen der Zopfmann bechrieben wird. (Quelle: Crime)
Diesen Ansatz hatte man offensichtlich zwischenzeitlich fallengelassen. Er wird aber fortan, bis zur abrupten Wende im Mai 2016, zehn Jahre lang zur Hauptspur.
• 2007:
Seit März arbeitet eine fünfköpfige „AG Tristan“ an der erneuten Überprüfung des Falles.
10. Juni: Eine Kurzversion der ersten Spiegel TV Magazin–Reportage (von Oliver Becker) über den Fall Tristan wird auf RTL gesendet.
22. Juni: Auf VOX läuft die Langversion derselben Reportage.
• 2008:
25. März: „Nach wochenlangem Spurenstudium hatte Fey gemeinsam mit drei Kollegen dann aber den Schlüssel für die Fall-Präsentation in der ZDF-Sendung ‚Aktenzeichen XY ungelöst’ gefunden. Zur Sendezeit, am 2. April, wird sich der Kriminalist auf jenen Zopfträger konzentrieren, nach dem die Sonderkommission bereits fünf Tage nach Tristans Tod gesucht hatte.“ (Frankfurter Rundschau, 25.3.2008)
26. März: Die Polizei legt das Phantombild vom Zopfmann vor. Es wurde von Liane Bellmann, Mitarbeiterin des Hessischen LKA erstellt. (Express, 8.4.2009)
2. April: XY-Sendung zum Fall Tristan. Dort wird gesagt, die Akte umfasse inzwischen mehr als 21.000 Seiten.
• 2010:
Uwe Fey fährt mit einem Kollegen nach Montpellier (es ist wieder eine Tschechien – Frankreich – Verbindung), um einen Fremdenlegionär zu vernehmen. (Quelle: FAZ 2013)
(Aber stimmt das? Oder ist damit nicht die früher erwähnte Reise nach Perpignan gemeint?)
• 2013:
23. November: Und wieder wird ein neues Täterprofil veröffentlicht: „Die Beamten baten schließlich den renommierten Münchner Profiler Alexander Horn um Mithilfe. Jetzt wird ein männlicher Einzeltäter gesucht, der 1998 zwischen 25 und 35 Jahre alt war, verstärkt Kontakt zu Kindern sucht, sozial zurückgezogen lebt“. (FR, 23.11.2013)
24. November: Die zweite Spiegel-TV-Reportage wird ausgestrahlt.
Hier kommen die ehemaligen Schüler, Jungen, Heimbewohner des heilpädagogischen Vincenzhauses in Hofheim zu Wort, die sich damals mit dem Zopfmann verabredet haben.
In derselben Sendung (wie auch später in „Hallo Deutschland“, 3.9.2014) wird auch Maria Haas interviewt, eine ehemalige Nachhilfelehrerin von Tristan. Sie habe Tristan wenige Tage vor der Tat mit einem Mann gesehen, den sie als den Zopfträger identifizieren wird. Wann diese Aussage der Polizei zuerst zur Kenntnis kam, ist unklar.
9. Dezember: Die Frankfurter Rundschau berichtet, die Polizei habe 200 Hinweise auf den Zopfmann erhalten. Fey wird mit den Worten zitiert, „acht bis zehn seien gut gewesen und werden akribisch weiterverfolgt.“ (FR, 9.12.2013)
• 2014:
18. März: Margit Seel (Frau von Manfred Seel) stirbt. (Todesanzeige in der FAZ vom 5.4.2016)
26. August: Manfred Seel stirbt. (Todesanzeige in der FAZ vom 6.9.2014)
3.September: Die Sendung „Hallo Deutschland“ mit einem Beitrag über den Fall Tristan wird aussgestrahlt. Dort sagt Uwe Fey bei Minute 8:00 „Der Fingerabdruck, der auf Tristans Buch gelegt wurde, und auch gefunden wurde, wurde mit seinem Blut gelegt.“
10. September: Beim Entrümpeln der Garage in der Nordstraße 5 in Schwalbach finden Stephanie Seel (deren Vater Manfred Seel der Mieter dieser Garage war) und ihr Partner zwei blaue Fässer mit Leichenteilen.
22. September: Doris Möller-Scheu, Sprecherin der Frankfurter Staatsanwaltschaft, gibt bekannt, dass es sich bei der Leiche um eine Obdachlose handele, die nicht als vermisst gemeldet worden sei. Sie sei identifiziert. Der Name wird aber noch nicht bekanntgegeben. (FAZ, 23.9.2014).
Dezember 2014: Tristans Vater Bernd Brübach stirbt (59-jährig).
• 2016
19. Mai: Pressekonferenz des LKA Wiesbaden. Die schon ein, zwei Tage zuvor gestreuten Informationen zum Schwalbacher Fall „Alaska“ werden offiziell gemacht. Zum ersten Mal wird „Manfred Seel“ mit Klarnamen benannt, auch das Opfer in den Fässern wird bekanntgegeben: Es handelt sich um die Straßenprostituierte Britta Diallo. Die „Serienmörder“-These steht im Raum und auch ein möglicher Zusammenhang zum Fall Tristan. Auch alle anderen Mordopfer werden mit vollen Klarnamen genannt. Über den Stand der Ermittlungen berichtet Kriminalhauptkommissar Frank Herrmann. Leiter der „Arbeitsgruppe Alaska“ ist Holger Thomsen.
N24 überträgt einen Livestream dieser Pressekonferenz, auf hessenschau.de gibt es eine dürftige Twitter-Zusammenfassung (HRPK).
21. Mai: Der Spiegel bringt eine große Reportage über Manfred Seel (von Julia Jüttner) unter dem Titel „Im Keller brennt wieder Licht“.
22. Mai: Das Spiegel-TV-Magazin bringt eine Reportage (von Daniel Hartung) mit dem Titel „Der Serienmörder von Frankfurt“ über Manfred Seel, die Frankurter Prostituiertenmorde und mögliche Zusammenhänge zum Fall Tristan: „Viele Umstände sprechen dafür, dass Seel im Alltag auf Tristan getroffen ist.“ (Quelle: SPTV 3). Welche Umstände das sein sollen, wird nicht konkretisiert.
31. Mai: Die von einer Privatperson ausgelobte Belohnung in Höhe von 80.000 Euro ist erloschen.
Die von der Staatsanwaltschaft Frankfurt/Main bereitgestellten Belohnung in Höhe von 15.000 Euro und die 5.000 Euro Belohnung einer weiteren Privatperson bestehen weiterhin.
2017
10/2017: Die einzige heiße Spur ist offiziell abgehakt: Ein Anfangsverdacht gegen den mutmaßlichen Serienmörder Manfred Seel konnte sich nicht erhärten lassen. Auf einer auf Spuren untersuchte ehemalige Klarinette von Seel konnten nur drei Fingerspuren gefunden werden, die aber nicht mit dem auf Tristan's Rucksack gesicherten Fingerabdruck vergleichbar waren.
Die zwischenzeitlich gelöschte Internetfahndung wird wieder aufgenommen, die Belohnung allerdings um 80.000 Euro auf derzeit 20.000 Euro reduziert. (Quelle: Hessenschau)
2018
13. Januar: Tristan erhält einen Gedenkort
Als voriges Jahr bekannt wurde, dass die letzte Ruhestätte Tristans abgeräumt werden soll, versuchten sofort Menschen, einen Weg zu finden, um einen Ort der Erinnerung für Tristan Brübach zu schaffen. Jetzt ist ein Weg gefunden: Das für die Friedhöfe zuständige Grünflächenamt hat alle, die wegen des Tristan-Grabs aktiv geworden sind, an einen Tisch geholt. „Wir haben eine Einigung erzielt“, sagt der für Friedhofsangelegenheiten zuständige Thomas Bäder. Vereinbart wurde, den Grabstein Tristans mit dem liegenden Herzen im Frühjahr vom bisherigen Erd-Reihengrab zu entfernen und in etwa 80 Meter Entfernung unter einem Baum als Gedenkstein neu zu setzen, so dass das Grab abgeräumt werden könne.
„Der Steinmetz ist schon beauftragt“, sagt Bäder. Von verschiedenen Seiten waren dafür bereits Spenden gesammelt worden (wir berichteten); Cornelia Scherf, die über diese Zeitung um Unterstützung gebeten hatte, ist jetzt involviert – und bedankt sich bei den Spendern. Geschaffen werden solle „ein permanenter Gedenkort ohne größere gärtnerische Gestaltung“, sagt Thomas Bäder. Die Wiese rund um den Stein solle von den Mitarbeitern des Grünflächenamts gepflegt werden. Ein Termin für die Umsetzung sei noch nicht vereinbart; die Aktion sei aber für dieses Frühjahr vorgesehen. (Quelle: FNP)
Die Kürzel für die grundlegenden Quellen:
BKA= Die Hauptseite des Bundeskriminalamtes zum Fall Tristan. Von dieser aus gelangt man auf die anderen Seiten mit Biografie, Tathergang, Fotos etc: m https://www.bka.de/nn_196810/DE/Fahndun ... __nnn=true m
Crime= Stern Crime, Ausgabe Nr. 01, Sommer 2015
HD= Hallo Deutschland, ZDF, gesendet am 3.9.2014
HRPK= „Serienmörder-Pressekonferenz zum Nachlesen“ (Frank von Bebber), Twitterzusammenfassung auf hessenschau.de:, 19.5.2016 - m http://hessenschau.de/panorama/serienmo ... d-100.html m
FAZ= Frankfurter Allgemeine Zeitung
FAZ 2013= Artikel in der Frankfurt Allgemeinen Zeitung vom 23.3.2013
FNP= Frankfurter Neue Presse
FR= Frankfurter Rundschau
SPTV 1= Erste Spiegel TV Reportage über den Fall Tristan. 10.6.2007
SPTV 2= Zweite Spiegel TV Reportage über den Fall Tristan 24.11.2013
SPTV 3= Dritte Spiegel TV Reportage „Der Serienmörder von Frankfurt“, 22.5.2016
XY= Folge der Sendung Aktenzeichen XY mit einem Beitrag über den Fall Tristan, ausgestrahlt am 2.4.2008
► Biografie
Tristan war das einzige Kind der Eheleute Iris und Bernd Brübach. Er wurde am 03.10.1984 in Frankfurt geboren und wuchs in den Frankfurter Stadtteilen Höchst und Unterliederbach auf.
Im Jahre 1995 verstarb seine Mutter, als sie in Sichtweite des Höchster Friedhofes von einem Hochhaus sprang. Bernd Brübach musste als allein erziehender Vater seine Vollzeitbeschäftigung beibehalten, um die Lebenshaltungskosten der Familie bestreiten zu können.
Tristan entwickelte sich trotz des tragischen Verlustes der Mutter relativ gut und altersgerecht.
Bernd Brübach wurde durch Tristans Großmutter unterstützt, die dem Jungen zusätzlichen Halt gab.
Tristan besuchte zuletzt die 5. Klasse der Meisterschule in Frankfurt-Sindlingen, auf die er kurz zuvor von der Walter-Kolb-Schule in Frankfurt-Höchst gewechselt war.
Tristan versuchte, körperliche Auseinandersetzungen mit Gleichaltrigen oder älteren Jugendlichen zu vermeiden, wurde aber dennoch häufig von diesen angegriffen, teilweise sogar beraubt.
Da Tristan schon früh selbständig werden musste, bewegte er sich trotz seiner 13 Jahre ziemlich selbständig in Höchst. Dabei könnte es zu flüchtigen Kontakten zu Personen der sogenannten "Szene" gekommen sein, ohne dass man Tristan deshalb als Angehöriger des kriminellen Milieus bezeichnen könnte.
Er erscheint eher so, dass Tristan seinem Mörder zufällig begegnete. Allerdings kann auch nicht völlig ausgeschlossen werden, dass Tristan bereits zuvor einmal mit seinem späteren Mörder zusammentraf.
Tristans Biografie beim BKA
Hadayatullah Hübsch : Tristan oder Die Traurigkeit der Gewalt aus: Von out bis cool: Jugend und Jugendkultur in Hessen : ein Lesebuch Tristan oder Die Traurigkeit der Gewalt von Hadayatullah Hübsch
Die Straßen hier sind so eng, daß ein Auto, wenn Gegenverkehr kommt, auf den Bürgersteig fahren muß, um den anderen passieren zu lassen. Alemannenweg, Cheruskerweg, Teutonenweg, Chattenweg sind ihre Namen, durchschnitten von der Busstrecke, die Engelsruhe heißt. Hier leben in kleinen, zweigeschossigen Wohnblocks, die nach dem 2. Weltkrieg schnell und billig hochgezogen wurden, Menschen aus vielen Nationen ziemlich dicht beieinander, Türken, Marokkaner, Italiener, Jugoslawen, Deutsche - zwischen Kleinbürgertum und Asozialität. Der Anteil rechtsradikaler Wähler ist im Vergleich zu anderen Stadtteilen Frankfurts sehr hoch. Mittelpunkt des öffentlichen Lebens ist der Kiosk von Franz. So wird er immer noch genannt, obwohl Franz schon vor ein paar Jahren an Krebs gestorben ist. Schon frühmorgens versammeln sich hier Arbeitslose und Rentner zu Flaschenbier, Flachmännern und Zigaretten. Im Sommer ist auf demkleinen Vorplatz am Büdchen eine Tischtennisplatte aufgebaut, das verschafft Bewegung, irgendwie ist so ein Bierbauch ja auch unappetitlich. Und während auf ein paar wackeligen Klappstühlen die einen sitzen und dem Akkordeonspieler lauschen, der wieder mal La Paloma anstimmt, wechseln die anderen ein paar Bälle, bis zur Zigarettenpause und dem nächsten Schluck.
An die fensterlose Hauswand schräg gegenüber hat schon vor langer Zeit jemand mit riesigen Buchstaben den Spitznamen des jüngsten Sohnes eines Italieners gepinselt, der hier seine 11 Kinder großgezogen hat. Und weil der Graffitikünstler es nicht besser wußte, steht nun statt »Ratte« nur »Rate« am schmutzigen Putz. Aber irgendwie ist das auch richtig, denn die Leute leben hier auf Raten. Groß Geld verdient keiner. Arbeiter sind sie, manche leben auf Sozialhilfe oder Stütze. Einmal hat die »Ratte« das Straßenschild verhängt, mit einem Pappschild, auf dem in ungelenker Schrift »In the Ghetto« zu lesen war. Der Fahrplan an der Bushaltestelle ist, kaum aufgehängt, schon wieder verschwunden. Es ist ein Spaß, den die Halbwüchsigen sich leisten. Alle paar Wochen fackeln sie auch den Plastikkorb ab, der an dem Busschild hängt. Was sollen sie auch sonst schon tun. Wenn es dunkel geworden ist, hängen sie an der Telefonzelle rum, die vor dem Kiosk steht. Natürlich ist sie oft unbenutzbar, weil wieder mal jemand den Hörer abgerissen hat. Das ist aber nicht so schlimm, denn die Cleveren unter den 16jährigen haben Handy, schließlich sind sie Unternehmer: Sie sind Kleindealer, die sich den Stoff zum Kiffen aus jenen Stadtteilen besorgen, die dem ihren benachbart heftiger zugeht. Da sind Jugendbanden am Werk, entwurzelte Türken, Marokkaner und Deutsche, die sich, bunt gemischt, schon mal eine Straßenschlacht liefern. Kiffen ist der Hit. Die Polizei kümmert sich kaum drum. Die ist hinter den connections her, will den Kopf der Schleuserbande und gibt sich nicht mit den 15jährigen ab, die sich beim Gangster-Rap in eine andere Welt versetzen und in Kellern rumhängen, die ihnen die Eltern überlassen haben, damit sie ihnen nicht über den Weg laufen. Hier können sie sich die Horror-, Kung-Fu-, Action- und Gewaltfilme reinziehen, die sie sich über ältere Freunde aus den umliegenden Videotheken ausleihen. Mädchen spielen dabei kaum eine Rolle. Man bleibt unter sich und geizt nicht mit krassen Worten. Neger, fette Sau, Zigeuner sind die beliebtesten Schimpfworte, mit denen sie sich eindecken. Die Eltern haben die Nase von allem voll. Einfache Arbeiter, Gelegenheitsmalocher, die froh sind, in Ruhe gelassen zu werden, ihren Kasten Bier zu trinken und die Zeitung zu lesen, wie Bild hier genannt wird. Manche Väter dealen selbst, wird gemunkelt. Aber Heroin ist »out«, man hat zuviel gehört und gesehen von den Junkies, wenn auch der eine oder andere schon mal eine Nase »horse« geschnieft hat. Aber man will ja auch Auto fahren, das geht schlecht, wenn man total zu ist. Und außerdem ist es aufregend, in den Supermärkten oder im nahe gelegenen Main-Taunus-Einkaufszentrum klauen zu gehen. W. ist einer von ihnen. 16, für sein Alter sehr kräftig. Er hat schon fast alles mitgemacht. Alte Frauen überfallen, rumgesoffen und sich seit Jahren schon an die tägliche Ration Zigaretten gewöhnt. Er spielt gern Macho, läuft O-beinig und schwerfällig auf den Straßen rum und tut groß. Sein Vater hat ihn, als er noch klein war, häufig geschlagen. Das gibt er nun weiter. Warum soll es anderen besser ergehn als ihm. Er ist Türke, aber vom Islam weiß er nichts. Religion hat nichts zu bedeuten. Angesagt ist die Macht. » Unterliederbach - Die Macht« kritzelt er auf die Trafohäuschen. Er macht anderen angst, und er weiß warum. So hat er es in den Videos gesehen. Wer nicht nur das Maul aufreißt, sondern auch hart zuschlagen kann, ist der King. Das war auch das Motto von Tristan. Sein Vater ist Arbeiter und, wenn er nach Hause kam, zu müde, um sich noch dem Sohn zu widmen. Daß er Schokolade mitbringt, ist alles, was er für ihn tun konnte. Seine Mutter indes war ständig in Sorge um ihren einzigen. Der war schlecht in der Volksschule, und sie konnte ihm nicht helfen, weil sie es auch nicht besser wußte. Ständig klingelte sie bei den Nachbarn und bat fast heulend um Hilfe. Irgendwann war ihr alles zuviel. Sie ist nach Sachsenhausen gefahren, in ein Hochhaus gestiegen und hat sich zu Tode gestürzt. Was genau sie in den Selbstmord getrieben hat, darüber schweigt man sich aus. Der Vater ist dann fortgezogen, in ein Kaff ein paar Kilometer außerhalb der Stadtgrenze. Aber Tristan hat es immer wieder in seine alte Gegend gezogen. Hier lungerte er rum und lauerte den kleinen Jungs auf, die er bei der leisesten Provokation verprügelte, so daß sie es nicht mehr wagten, alleine aus dem Haus zu gehen, und sei es nur, um den Mülleimer auszuleeren. Mit den anderen Gleichaltrigen in der Gegend verband ihn alles, was verboten war. Klauen, Kiffen, Saufen, Rauchen, Omas kaschen. Manchmal saß er einsam am Rinnstein und grübelte vor sich hin. Seine Freunde versorgten ihn mit Drogen, er hatte immer Geld in der Tasche, keiner weiß woher. In den umliegenden Stadtteilen kannte er sich gut aus. Er wußte, wo Haschisch gehandelt wird und wo es Hehlerware gibt. Aber immer wieder zog es ihn zurück zu seinem alten Haus. Dann hatte es ihn erwischt. In der Nähe vom Bahnhof Höchst, der in der Nähe seiner alten Wohnung liegt, wurde er ermordet aufgefunden. Bestialisch ermordet. Die Polizei gab zunächst keine Einzelheiten bekannt. Und die Zeitungen schrieben von dem unschuldigen Kleinen, der aus unbegreiflichen Gründen ums Leben gekommen war. Als die Nachricht im Viertel die Runde machte, war von kleinen Jungs ein Seufzer der Erleichterung zu hören: »Jetzt habe ich keine Angst mehr«, hieß es. Polizei kämmte die Wohnblocks durch und fragte, ob jemand Genaueres wüßte, mit wem Tristan zusammengewesen war. Aber Genaueres weiß man hier nicht. Vor allem nicht, wenn die Polizei danach forscht. Also blieb das Bild eines sanft aussehenden blonden Knaben in Tageszeitungen und auf Fahndungsplakaten alles, was von ihm bekannt war. Keiner schrieb, wie es wirklich um ihn bestellt war. Er sei gut zu seiner Großmutter gewesen, ein lustiger Junge, dessen Mutter traurigerweise schon früh gestorben war. Unfaßbar. So ein lieber Junge. Die Halbwüchsigen im Viertel wußten es besser. Sie lachten über die Märchen, die die Reporter verbreiteten. Langsam sickerte dann die Wahrheit über Tristan in die geschockte Öffentlichkeit. Daß seine Mutter nicht einfach so gestorben war, sondern sich umgebracht hatte. (Warum, interessierte indes keinen.) Daß er trotz seiner jungen Jahre ein Kleinkrimineller gewesen war. Daß er Furcht und Schrecken verbreitete, wohin er kam. (Woher das kam, das interessierte keinen.) Daß die Jugendlichen im Viertel ihren Lebenssinn im Kiffen, Abhängen, Video- Glotzen und Klauen sahen, schrieb keiner. Nur aus dem lieben Tristan wurde plötzlich eine Bestie in Kindergestalt. Bei einem Prozeß, den Tristans Vater angestrengt hatte, weil jemand mal Tristan eine Ohrfeige gegeben hatte, dämmerte es einigen, daß Tristan ein lausiger Einzelgänger war. Weiß Gott, warum er so verwahrloste. Warum er schlug. Und warum er geschlagen wurde. Die Zeitung brachte es dann an den Tag, daß Tristan eben kein Lockenkopf gewesen war, den mir nichts, dir nichts jemand aus unverständlichen Motiven auf tierische Art erstochen, erwürgt, malträtiert Aber eben ein Einzelgänger. Unser Bub tut so etwas nicht. Tristan, der Abscheuliche. Daß er seine Raubzüge, seine Bedröhnungen anderen abgeschaut hatte und ins Extrem trieb, wurde also nicht Gegenstand der öffentlichen Debatte. Ein Einzelfall , hieß es weiterhin. Schicksal. Die Mutter. Und was alle im Viertel wußten, daß die 16jährigen im Viertel an den Wochenenden bis nachts um drei auf den Straßen umhertigerten, sich zuballerten und dann zum Einschlafen noch ein Horrorvideo anschauten, daß sich kein Streetworker und kaum ein Sozialarbeiter um die Verwahrlosten kümmert, daß die Lehrer mit all dem nichts zu tun haben, daß Nazi- Parolen die Runde machen, wurde geflissentlich nicht zur Kenntnis genommen. Solange es hier nicht Straßenschlachten gab und sich die Kleinkriminalität in Grenzen hielt und die Dealerei über ein paar Gramm nicht hinausging, konnte es ruhig so bleiben. Bis dann die Zeitung eine große Geschichte brachte. Die Wahrheit über Tristan, die schon beim Prozeßbericht leise angeklungen war, wurde jetzt schonungslos ausgebreitet. Offensichtlich wußte sich die Polizei keinen anderen Ausweg mehr, um dem grausamen Mörder doch noch auf die Spur zu kommen. Tristan, so war es nun zu lesen, war ein schlimmer Knochen. In Hehler- und Dealer-Kreise verwickelt. Sein Mörder mußte ihn gut gekannt haben. Daß er ihn so grauenhaft zurichtete, regelrecht abschlachtete, weise auf einen Einzelgänger hin.
Über das Motiv gab es aber noch nicht einmal Vermutungen. Wie jemand dazu kommen konnte, so unmenschlich auszurasten und den Jungen so abscheulich zuzurichten, entzieht sich der Kenntnis der Psychologen. Vermutlich ein Einzelgänger, der Computerspiele liebt und sich in Spielhallen rumtreibt. Ein Einzelgänger wie Tristan. Daß es in diesem Viertel von Einzelgängern nur so wimmelt, auch wenn sie sich zusammenrotten, hat keiner je beobachtet. Und es gibt ja fürwahr schlimmere Viertel. Das wissen auch die 16jährigen hier. Hier ist alles noch beschaulich und überschaubar. Kiffen, Videos, Rumhängen, Gangster-Rap. Das ist normal. Schließlich gibt es hier keine Banden. Alles nur Einzelgänger. Einzelgänger wie Tristan. Oder wie die Tristane sonst noch heißen. In lauen Sommernächten sitzen die Erwachsenen in ihren Kleingärten. »Angie« von den Rolling Stones läuft. Und das Bier wird nicht alle. Die Kinder stören nur dabei. Sie sollen doch tun und lassen, was sie wollen. Und ihre Freiheit genießen. Und sich mit den Pennern anfreunden, das ist doch nur menschlich. Und ein Bier hat noch keinem geschadet. Von Zigaretten ganz zu schweigen. Und Kiffen gehört doch auch irgendwie dazu, zum Leben. Oder zum Tod. Der Mörder von Tristan ist noch frei.
Aber die Jugendlichen furchten sich nicht vor ihm. Wenn wir zu dritt oder zu viert sind, kann uns keiner, sagen sie. Kiffen macht stark. Und außerdem sind wir »Die Macht«. Und in den Filmen ist es ja auch so, daß der Mann, der rot sieht, siegt. Und schließlich sind wir keine Neger. Wir sind doch keine Ausländer. Unsere Eltern vielleicht, aber wir doch nicht. Und an der Litfaßsäule, die neben dem Telefonhäuschen steht, sagt der Spruch vom Kommerzradio, wo's lang geht. »Eure Eltern werden kotzen«, verheißt das Plakat. Oder sie springen vom Hochhaus. Oder sie prügeln uns. Oder sie lassen uns in Ruhe, was sollen sie sonst schon tun. Was könnten sie uns auch schon beibringen! Die Videos können das besser. Da ist ein Mann noch ein Mann. Eben »Die Macht«. Und Tristan war ein armes Schwein. Einfach zu kraß.[/name]
Teil 2: Sachverhalt
Am Donnerstag, den 26.03.1998 gegen 16:00 Uhr, wurde der 13-jährige Tristan Brübach in einem Tunnel entlang des Liederbaches von zwei Kindern tot aufgefunden. Dieser Tunnel befindet sich westlich vom nahegelegenen Bahnhofes im Frankfurter Stadtteil Höchst, unterquert die Bahngleise zwischen dem südlichen Bahnhofsbereich und dem nördlichen Wohngebiet Unterliederbach und wurde von Ortskundigen -meist von Kindern und Jugendlichen- als Abkürzung, zu Mutproben, Wandmalereien (Graffitis) und -speziell der schwer einsehbare südliche Tunneleingang- als beliebter Treffpunkt benutzt.
► Lageübersicht
Größere Kartenansicht
Südlicher Tunneleingang (Bahnhofseitig)
Nördlicher Tunneleingang (Wohngebiet Unterliederbach)
Tristan wurde von dem/den Täter/n geschlagen, gewürgt und durch einen tiefen Schnitt durch die Kehle ermordet. Außerdem wurden dem Jungen zahlreiche Stich- und Schnittverletzungen zugefügt und der Leichnam post mortem verstümmelt.
Eindeutige Hinweise zum Tatmotiv liegen nicht vor. Auch ist keine abschließende Aussage zu der Frage möglich, ob der oder die Täter im Bereich des Tunnels auf ihr Opfer warteten, ob sie Tristan unter einem Vorwand nach unten lockten, oder ob sie nach Tristan am Tatort eintrafen.
Mordfall Tristan Neue Spuren (24.11.2013)